"Von Albanien kann man sich beim ersten Besuch nur überrumpeln lassen. Es
ist zwecklos, in drei Wochen auch nur die Grundelemente dieser Sprache lernen
zu wollen, die in der indogermanischen Familie isoliert dasteht. Nur das Wort
für „Danke“ sollte man sich einprägen und vor allem sich merken, dass „Jo“ Nein
heißt und oft mit einem Nicken einhergeht. Andernfalls hat man sich in den
Restaurants und Dorfgasthäusern oft zu früh gefreut. Dafür wird man durch
spröde Herzlichkeit entschädigt. In Djirokastër geht die Wirtsfrau über die
Straße, um das bestellte Bier, das zu warm war, in einem befreundeten Laden
gegen ein kaltes zu tauschen.
Die
Rückfahrt ist ein bisschen wie die Vertreibung aus dem Paradies. Nach drei
Wochen Albanien, nach Übernachtungen an einsamen Kieselstränden im tiefsten Süden,
nahe der griechischen Grenze, im Landesinneren auf Hochgebirgswiesen oder bei
einer bis tief in die Nacht lautstark feiernden Dorfgemeinschaft in Ulëz,
versteht man alle früheren Warnungen vor den Albanern nicht mehr. Aber die
Vorurteile unter den slawischen Völkern des Balkan scheinen unausrottbar. Das
beweist der alte mazedonische Bauer, der uns morgens in der Nähe des Dorfes Čelopek
auf einer Wiese im Hügelland freundlich begrüßt. Da wir nachts hohe
Stacheldrahtzäune in der Gegend sahen und ein Straflager vermuteten, nahmen wir
für alle Fälle Äxte und Messer mit ins Zelt. Unnötig, sagt der Bauer, Mazedonien
sei sicher. Die einzige Ausnahme seien die Städte mit hohem albanischen
Bevölkerungsanteil, die sollten wir meiden. Kein Wunder, dass die serbische
Propaganda Anfang der 90er Jahre auf fruchtbaren Boden fiel. Die Belgrader Politika,
eine bis dahin seriöse Tageszeitung, brachte damals täglich auf Seite zwei
Meldungen von Vergewaltigungen serbischer Frauen durch Albaner im Kosovo. Das
waren erste Vorbeben des kommenden Gewaltausbruchs. Diese Meldungen brachten
unterschwellig auch die Hauptsorge der Serben zum Ausdruck – die große
Fruchtbarkeit der Kosovo-Albaner, die sie über kurz oder lang zur Minderheit in
der Provinz machte."
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"Der Balkan - Vorbeben und Nachwehen",
Magazin
(vormals ) Heft 10/2009, S. 46 - 51.