Dankesrede von Andrzej Stasiuk
Sehr geehrte Damen und Herren,
das erste Mal im Leben halte ich eine
Rede, und mir ist etwas seltsam zumute. Normalerweise äußere ich mich in der
Öffentlichkeit mit den Worten meiner eigenen Bücher, oder in den Worten, die man
im gewöhnlichen Gespräch benutzt. Diesmal scheint die Situation ein bisschen
komplizierter zu sein.
Ein Literaturpreis ist eine sehr seltsame Sache. Er erinnert an das Urteil
eines unbekannten Gerichtshofs, dem Ermittlungen vorausgehen, von deren Verlauf
der Preisträger eine – wenn überhaupt - sehr nebelhafte Vorstellung hat. Er
kennt weder seine Verteidiger noch die Staatsanwälte, und die Richter lernt er
erst im letzten Augenblick kennen, wenn das Urteil bereits gefällt ist. Eine
geradezu kafkaeske Situation.
Die Sache wird noch komplizierter, wenn es sich um einen internationalen Preis
handelt und somit ein Autor ausgezeichnet wird, der in einer anderen Sprache
schreibt als der, die die Verehrte Jury und das Verehrte Publikum normalerweise
lesen. In einem solchen Fall gilt die Auszeichnung eher dem Übersetzer, als dem
Autor. Die Übersetzung eines literarischen Werkes besteht doch – wenn sie etwas
taugen soll – darin, ein neues Buch zu schreiben. Die Übersetzung aus einer
Sprache in die andere ist die Übertragung von einer Kultur in die andere, von
einer Wirklichkeit in die andere, einer Art Humor in die andere, kurz – die
Übertragung einer ganzen Welt in eine andersgeartete Welt. Noch kürzer gesagt –
dass ich heute hier stehe, verdanke ich Renate Schmidgall und Olaf Kühl.
So verstricken wir uns, verehrte Damen und Herren, immer tiefer ins Paradox:
Ich weiß nicht, von wem ich den Preis bekommen habe, weiß nicht wofür, und zu
allem Überfluss hat diesen Preis eigentlich auch jemand anders verdient.
Gleichwohl bin ich glücklich und nehme den Preis dankbar an. Ich nehme ihn als
Geschenk des Schicksals, als ein wahres Präsent. Was uns unverdient und
unerwartet in den Schoß fällt, ist immer besser als das Erwartete und
Verdiente. Bestätigt es uns doch in der Gewissheit, dass die Welt uns nichts
schuldig ist. Mit dieser Gewissheit lebt es sich sehr viel ruhiger. Es bleibt
dann allenfalls der Verdacht, wir selbst könnten der Welt etwas schuldig sein.
Die Aufmerksamkeit des hochgeschätzten Publikums möchte ich an dieser Stelle
nutzen, um noch etwas sehr Wichtiges zu sagen: Vor über einem Monat ist
Siegfried Unseld, der Leiter des Suhrkamp-Verlags, von uns gegangen. Wir sind
uns nur einmal im Leben begegnet - zwei, vielleicht drei Stunden lang.
Gleichwohl habe ich die Tatsache, dass ich jetzt zu Ihnen sprechen darf, auch
Ihm zu verdanken. Eigentlich habe ich ihm nie dafür gedankt. Jetzt kann ich nur
noch Seinem Schatten danken. Aber meine abergläubische slawische Seele glaubt
zutiefst daran, dass der Schatten meinen Dank hört.