Tief durchdrungen von katholischer Moral

Polens provokative Star-Autorin Dorota Maslowska über ihr Stück bei den Braunschweiger Theaterformen

(Interview in der Braunschweiger Zeitung, Ausgabe vom 22. Mai 2008. Die Fragen stellte Olaf Kühl)

Nach den auch in Deutschland bekannten Bestsellern "Schneeweiß und Russenrot" und "Die Reiherkönigin" ist Dorota Maslowska (25) die bekannteste und originellste Stimme der jungen polnischen Literatur. Die einen vergöttern, die anderen hassen sie. Gleichgültig lässt sie niemanden. Bei den Theaterformen in Braunschweig kommt am 13. Juni ihr erstes Theaterstück in der Regie von Armin Petras zur deutschen Erstaufführung: "Zwei arme, Polnisch sprechende Rumänen".

Es ist de Geschichte des Seriendarstellers Parcha und der alleinerziehenden Mutter Dschinna, die nach einem Drogentrip irgendwo in Polen zu sich kommen, nicht mehr wissen, wo sie sind und die Realität noch gespenstischer finden als zuvor. Mit der Autorin sprach Olaf Kühl in Warschau:

Das Stück ist bitterer und härter als alles, was du bisher geschrieben hast. Mit dem Schauspieler Parcha hast du deine bisher böseste Männerfigur geschaffen. Was macht ihn böser als die Machos in deinen Romanen?

Diese waren hilflos ihren Trieben ausgelieferte Dummköpfe. Gleichzeitig waren sie irgendwie unschuldig in ihrer Dummheit. Parcha dagegen ist perfide. Nach der Partynacht ist er verkatert und fürchtet um seinen Job, und er lässt seinen ganzen Frust an Dschinna aus.

Aber er ist doch auch sensibel, er klagt über den seelenlosen Sex mit all den Frauen, die ihn als Fernsehstar verehren.

Na hör mal, wenn du sensibel bist und deine Probleme definieren kannst, heißt das noch lange nicht, dass du ein guter Mensch bist.

Ich finde Dschinna moralisch viel fragwürdiger – sie lässt ihr kleines Kind allein, versäuft die Alimente.

In dieser Figur konzentrieren sich stark die typisch polnischen bzw. katholischen Vorstellungen von der Rolle der Frau. Sie soll vor allem eine gute Mutter sein. Der Vater ist nebensächlich. Sie wird gelyncht, wenn sie diese Rolle nicht erfüllt.

Du sprichst sehr viel in den Kategorien von Gut und Böse. Dabei giltst du als enfant terrible der polnischen Literatur, das Schmutz und Obszönität hervorkehrt, ohne positive Ideale aufzuzeigen

.Obszön zu schreiben, heißt doch nicht, dass man keine Moral hat. Interessanterweise habe ich erst im Ausland gemerkt, wie sehr ich in den christlichen Wertvorstellungen verankert bin. Die Regisseurin, die das Stück in London inszenierte, war erstaunt, wie oft Gott darin angerufen wird. Da erst begriff ich, wie tief ich von der katholischen Moral durchdrungen bin. Hier in Polen merke ich das gar nicht. Durch den Blick aus der Fremde habe ich viel über meine eigene Identität gelernt.

Bist du doch eine "heimliche Konservative", wie manche dir nachsagen?

Ich versuche auf jeden Fall, keine fertigen Weltanschauungen nachzuplappern, sondern selbst herauszufinden, was ich denke und wer ich bin.

Für 2009 hast du ein Jahresstipendium des DAAD in Berlin bekommen. Eine große Auszeichnung, die dich in eine Reihe mit bedeutenden Künstlern stellt. Freust du dich auf Berlin?

Ja, sehr. Erstens will ich aus Polen weg, um das Land mal von außen zu betrachten und wieder richtig wahrzunehmen. Zweitens geht mir die Missgunst meiner Landsleute auf die Nerven. Die Polen haben Minderwertigkeitskomplexe, Neid ist hier ein Kultgefühl. Das hat mit ihrer Geschichte voller Niederlagen, auch mit der Epoche des Kommunismus zu tun.

Obwohl du die Frauen mit so bitterbösem, oft sogar verächtlichem Blick zeigst, mögen und respektieren dich die Feministinnen.

Weil es der männliche Blick ist, aus dem ich sie so zeige. Die Frau ist eine Nebenfigur. In Schneeweiß und Russenrot gibt es diese Frau mit ausgerissener Zunge. Die Frau hat Gefühle und leidet, aber sie schweigt.

Du dagegen bist in allen Medien präsent und meldest dich überall zu Wort.

Stimmt doch gar nicht. Seit 2006 lehne ich Interviews ab. Ich finde, man verzettelt sich als Autorin, wenn man überall udn zu allem Stellung nimmt.

Wie kommt es, dass du so sehr aus der männlichen Perspektive schreibst?

Ich habe immer gedacht, ich wäre ein Mann. Das weibliche Universum war für mich eine uninteressante Nische, die Welt der Männer fand ich konkreter und spannender. Mein Vater war fast nie zu Hause, ich bewunderte meinen älteren Bruder. Ich hatte auch immer nur Jungs als Freunde. Erst seit einem Jahr habe ich Freundinnen und lese von Frauen geschriebene Literatur. Meine Frauenfiguren werden allmählich stärker, weil auch in mir die Frau erwacht.

Donnerstag, 22.05.2008