Interview mit Dorota Masłowska

(eine leicht gekürzte und redigierte Fassung erschien in DER WELT vom 13. Juni 2008)

 
Was hältst du von dem kürzlich in einer deutschen Zeitung gemachten Vorschlag, die Schriftsteller auszuhungern, um ihren Partisanengeist zu wecken?

Eine rein abstrakte Idee. Als Schriftsteller kannst du gar nicht losgelöst von deiner conditio als Mensch existieren. Neulich sah ich einen Film, in dem jemand vom linken Weichselufer in das Arbeiterviertel Praga zieht, das ich auch in der Reiherkönigin beschreibe. Die Moral des Films ist, dass die Asozialen und Penner dort bessere Menschen sind als die gestressten Yuppies vom linken Ufer. Das finde ich verlogen - in ein kaputtes Mietshaus einzuziehen und zu denken, jetzt gehöre man dazu. Allerdings habe ich auch mal dort gewohnt.

 
Jetzt bist du in ein Villenparterre im stillen, bürgerlichen Viertel żoliborz gezogen, mit wunderschönem Garten. Du hast viele Preise bekommen, verdienst Geld mit deinen Bestsellern. Gefährdet der Erfolg nicht deine Authentizität?

Übertreib nicht. Gerade mal vier Preise, und einen Haufen Geld verdiene ich auch nicht. Ich bin wegen meiner 4-jährigen Tochter hierher gezogen. Natürlich ist die materielle Sicherheit künstlerisch gefährlich. Aber muss ich denn in einem Abrisshaus leben, um schreiben zu können? Jede Lebenssituation hält ihre eigenen Schwierigkeiten bereit, wenn nicht materieller, dann metaphysischer Art. Ich muss abwägen zwischen dem göttlichen Funken, den ich als Künstlerin in mir wach halten muss, und dem Wunsch, dass meine Tochter nicht in einer Blutlache landet, wenn sie das Haus verlässt.

 
Dein Theaterstück „Zwei arme Polnisch sprechende Rumänen“, dessen deutschsprachige Erstaufführung jetzt in der Regie von Armin Petras in Wien, dann beim Festival Theaterformen in Braunschweig und im Herbst am Gorki-Theater in Berlin gezeigt wird, zeichnet ein düsteres Bild von Polen. Ein TV-Schauspieler und eine alleinerziehende Mutter kommen nach einer Drogenparty irgendwo auf weiter polnischer Flur zu sich und müssen sich erst allmählich an ihre reale Situation und ihre traumatische Vergangenheit heran arbeiten.

Die Rumänen sind mein bisher bösester, am wenigsten durch Humor gemilderter Text. Sie sind von geradezu gespenstischer Traurigkeit. Sie sind zu einer Zeit entstanden, als es mir privat sehr schlecht ging. Das merkt man dem Stück an. Als ich in London zum dritten Mal die Szene mit der im Badezimmer hängenden Dschinna sah, war ich sehr unglücklich, dass ich dieses Bild in die Welt gerufen habe. Aber die Regisseurin sagte mir auch, wie viele katholische Anteile sie in dem Stück sieht. Ich musste nach London fliegen, um etwas darüber zu erfahren. Hier in Polen ist die Religiösität des Stückes gar nicht mehr lesbar, gerade weil sie so offen zu Tage liegt. Im Ausland lerne ich sehr viel über meine Identität.

Freust du dich deshalb auf das Jahresstipendium des DAAD für 2009 in Berlin? Das ist eine Auszeichnung, die man normalerweise erst nach Jahrzehnten bekommt. Dein bedeutendster Vorgänger war Witold Gombrowicz.

Ja, ich hoffe, von Berlin aus wieder einen frischen Blick auf Polen zu bekommen. Als wir beide letzten Herbst auf Deutschland-Tournee waren, habe ich ein Buch angefangen, und es schrieb sich völlig anders, als wenn ich hier in Polen gewesen wäre.

 
Warum tun die beiden in dem Stück eigentlich so, als wären sie Rumänen?

Sie leben darin auch ihre Minderwertigkeitskomplexe aus. Die Rumänen sind für die Polen die gleichen Underdogs, wie die Polen für den Westen.

 
Minderwertigkeitskomplexe? Aber die Polen sind in Europa, sie entscheiden die europäische Politik mit, ihre Wirtschaft wächst.

O mein Gott, aber die ganze Geschichte seit Ende des 18. Jahrhunderts! Eine Kette von Niederlagen, Verzweiflungen, Kriegen. Der zweite Weltkrieg hat eine posttraumatische Mondlandschaft hinterlassen. Der Kommunismus hat uns in einen Albtraum gezwungen und eine Unzahl von Schicksalen zerbrochen. Daran werden wir noch lange zu knabbern haben. Ich weiß nicht einmal, ob meine Tochter davon frei sein wird.

Sind diese Komplexe den Polen vielleicht so ins Blut übergangen, dass sie psychologisch unfähig zum Erfolg sind? Der Erfolgreiche scheint hier manchmal weniger beliebt zu sein als der, der scheitert.

Aber natürlich. Hier herrscht eine ausgeprägte Neidkultur. Jeder, der aus der Reihe tanzt, der eine buntere Uniform trägt, wird sofort mit faulen Eiern beworfen. Ein geradezu psychodelisches Bedürfnis nach Gleichmacherei, noch vom Kommunismus her. Wenn es hier aufwärts geht, dann nur, weil die Polen ihren Frust ablassen und es dem Westen mal so richtig zeigen wollen. (zögert) Jetzt verrate ich den Deutschen die bittersten Geheimnisse der Polen.

Es ist nicht nur deine oft obszöne, gleichzeitig ungeheuer kreative Sprache, die dich ein bisschen zur Skandalautorin macht. Dein Rap-Roman Die Reiherkönigin mit seinen Bemerkungen über Neger und Juden ist auch politisch nicht gerade korrekte Kost. Die Rumänen dürfen deshalb in den USA noch nicht mal auf die Bühne.

Aber das sind doch alles Zitate. Die wirken nur so anstößig, weil die Leuten das, was sie selbst insgeheim denken und im privaten Kreis auch aussprechen, plötzlich in der Literatur sehen. Dann heißt es: Mein Gott, wie kann dieses Mädchen nur so denken! Aber ich halte ihnen nur den Spiegel vor. Wenn ich schreibe, habe ich selbst nicht viel zu sagen. Ich bin eigentlich gar nicht präsent. Ich will nur ein Gefäß sein, nicht den Inhalt erzeugen. Ich schreibe nicht, um etwas zu sagen, was ich schon vorher wüsste. Das würde mich langweilen. Ich schreibe, um etwas über mich und die Welt zu erfahren, was ich noch nicht wusste.

Du schilderst auch die unappetitlichsten Machos noch mit spürbarer Sympathie. Diese männliche Perspektive erklärst du damit, es gebe weder in der Wirklichkeit noch in der Literatur starke Frauenfiguren. Im Grunde sind aber doch die polnischen Frauen viel stärker als ihre Männer.

Ja, die Männer fallen aus ihren alten Rollen. Früher hatten sie eine Aufgabe, sie haben für Futter gesorgt und Holz gehackt. Heute sind es verweichlichte Muttersöhnchen, die plötzlich ihre Hemden selber bügeln müssen. Die Frauen sind auf dem aufsteigenden Ast. Die Feministinnen lassen sich von meiner Sichtweise nicht in die Irre führen. Sie wissen, dass ich den männlichen Blick eigentlich kritisiere. Die Dschinna in meinem Stück ist die typische Frau, so wie die polnische – oder katholische – Kultur sie gern hätte: als Schweigende, die ihren Kummer in sich hinein frisst und sich still in der Ecke daran delektiert.

Du lässt dich ungern auf politische Meinungen festlegen. Nach den letzten Parlamentswahlen hast du dich geweigert, der Presse deine Befriedigung über die Abwahl der Kaczyński-Partei kundzutun.

Weil ich das Gefühl habe, dass man dabei so leicht instrumentalisiert wird. Man verzettelt sich auch. Ich akzeptiere die Schattenseiten meines Berufs, das heißt, ich muss auch im Interesse meines Verlegers nach einem neuen Buch Interviews geben. Aber die Rolle einer fiktiven Autorität, die sich im Fernsehen über allen möglichen Quatsch äußert, reizt mich nicht. Es gibt andere Autoren, die das mögen. Für mich ist das eine Verschwendung geistiger Energie. Ich melde mich nur zu Wort, wenn ich die Hoffnung habe, etwas ändern zu können. Als der damalige Bildungsminister Giertych Dostojewski von der Schullektüreliste gestrichen hat, habe ich im Fernsehen etwas dazu gesagt. Du darfst nicht vergessen, dass ich noch ziemlich jung bin und nicht als große Autorität auftreten kann, die den Leuten sagt, was sie zu einem bestimmten Thema denken sollen.

Das Gespräch führte Olaf Kühl in Warschau