Dorota Masłowska
Monolog für die Schaubühne Berlin
(Speeddating im Rahmen von F.I.N.D.7)
Eines Heiligen Abends, als ich ein kleines Mädchen war, eigentlich ein Säugling, verkündete mein älterer Bruder Wacław, der damals die Offiziersschule besuchte, der Familie, er breche seine Ausbildung ab. Alle brachen in Tränen aus, nur mein Vater stand ganz allein mit reglosem, verbissenem Gesicht da, einem Gesicht ohne jedes Leben... Dann nahm er den Säbel von der Wand... Ach, sie stritten fürchterlich... Es kam zu Handgreiflichkeiten. Unterdessen rief einer der Nachbarn, ich glaube mein Onkel, die Gendarmerie.Zwei Uniformierte kamen zu uns, beritten, groß und schön, und erkundigten sich, was geschehen sei. Aber alle, Wacek, mein Vater, meine Mutter, schwiegen wie ein Grab. Und meine Mutter sagte plötzlich: Nichts ist passiert, meine Herren, einfach nur ein Familienzwist. Und die Gendarmen sagten, gut, dann würden sie wieder gehen, und wünschten uns noch ein frohes Fest. Aber meine Mutter sagte zu ihnen, sie hätte da eine Bitte, eine Kleinigkeit nur.
Was denn, verehrte Frau?Würden Sie mich einmal den Leworwer halten lassen?
Da sagten sie nicht nein, denn wenn das schon immer ihr Traum gewesen
war...?
Und sie nahm ihn zur Hand, blickte voller Genugtuung in die Runde und...
rattata, rattatata! – begann zu schießen. Rattatata, piff paff!
Wacław, mein Vater, die Gendarmen, sogar ich in meinem Kinderbettchen -
alle lagen tot. Am Ende beging sie Selbstmord. Alles roch nach Schießpulver,
und unser Blut und die Innereien hatten die frisch geweißten Wände verschmutzt.
Es tat schrecklich weh.
Die Nachbarn hörten nichts, weil dieses Gewehr einen Schalldämpfer besaß,
außerdem hatten wir einen dicken Teppich. Beunruhigt wurden sie erst von den
Milizpferden, die sich in der Zwischenzeit losgerissen hatten und durch die
ganze Straße tobten, perfide wieherten und den Autoverkehr behinderten. Als sie
unsere Wohnungstür öffneten, unter der das Blut bis in den Flur floß, stellte
sich heraus, daß nur ich, ein kleines Mädchen von wenigen Jahren, dieses
schreckliche Ereignis überlebt hatte, still in meinem Kämmerlein saß und mir
die Zeit damit vertrieb, aus einfachen Lumpen Kleider für meine Puppen zu
nähen.
Die Nachbarn waren zutiefst gerührt von diesem Anblick und gaben mich in
ein Kinderheim. Alles Hab und Gut, das Silber, die Hirschgeweihe, Wappen,
Tafelgeschirr und Familienbesteck verteilten sie gerecht untereinander, den
Rest gaben sie Verwandten. Von dem ganzen Vorfall war mir nur eine entstellende
Narbe auf der Stirn geblieben, die ich ständig kratzte, um den Schorf dann
aufzuessen. Es kostete mich viel Zeit und Mühe, mir diese ungesunde Gewohnheit,
die ich von anderen armen Waisenkinder übernommen hatte, wieder abzugewöhnen.
Im Kinderheim bekam ich auch Läuse. Man schor mir das Haar kurz und rieb
mir den Rest mit Essig ein. Auch bekam ich Windpocken, aber nicht einmal das
vermochte die Schönheit zu verdunkeln, die mich unter den anderen armen Waisen
heraushob und nichts von meiner plebejischen Herkunft verriet. Das schmale
Gesicht, die großen Augen, aus denen eine rätselhafte Trauer schaute, das bunte
Tuch auf dem kahlgeschorenen Kopf. Ich war erst zwölf, und man sah doch schon,
daß ich von ungewöhnlicher Schönheit war. Eines Tages bemerkte ein Passant auf
dem Hof des Kinderheims das wunderhübsche Mädchen, das im Gegensatz zu den
anderen Kindern sehr fleißig Kastanien sammelte. Er war gerührt von ihrem
Schicksal und schenkte ihr eine wunderbare Ansichtskarte mit einer Chinesin,
die in einem bestimmten Winkel dargestellt ist und entzückend mit dem Auge
zwinkert.
Als ich dreizehn wurde, wenngleich viel weiter entwickelt als die anderen
armen Waisen, die kaum bis Vier zählen konnten, während ich schon fließend las,
die Landkarte konnte und ausgeprägte humanistische Interessen bewies, gab man
mich zu einem Fräsiersalon in die Lehre. Demütig und erhobenen Hauptes ertrug
ich mein schweres Schicksal, gab meinen Lohn bei der Mission ab, und wenn ich
völlig erschöpft heimkam, saß ich bis spät im Lichte einer Taschenlampe über
Büchern, was mir die Mißbilligung der Erzieher und strenge Strafen einbrachte,
wie Gemüsehobeln. Mein Charakter kräftigte sich zusehends, die geistigen
Horizonte weiteten sich ins Unermeßliche. Die entstellende Narbe auf der Stirn
wurde immer unauffälliger, mein Gesicht immer schöner. Obwohl ich fast die ganze
Zeit in dem Fräsiersalon verbrachte, fand ich doch immer Muße für Landkarte und
Lektüre.
Kein Wunder also, dass sich eines Tages ein Gardeoffizier, sehr schön und
ungewöhnlich reich, gerührt von meinem Schicksal, beim Anblick meiner
Schönheit, Bescheidenheit und Gewandtheit in mich verliebte. Wie oft machte er
mir nicht eine schöne Apfelsine oder aber zwei Zitronen zum Geschenk, die ich,
statt sie selbst zu essen, sorgsam schälte und unter den kleineren Kindern
verteilte. Wir heirateten bald und strengten einen Prozeß gegen die Nachbarn
an, die bitter fluchend die gestohlenen Familienandenken und das Besteck
zurückgeben mussten. Denn wichtig ist nicht die Schönheit, wichtig sind Fleiß
und ein gutes Herz. Dank ihm habe ich das Leid auf meinem Weg überwunden und
dem bitteren Schicksal die Stirn gezeigt.
Deutsch von Olaf Kühl