Ein vorweggenommener
Nachruf
von Olaf Kühl
Wenige Dinge auf der Welt
sind so unerotisch wie Gas. Da hilft auch der Kuschel-Eisbär auf der Reklame
nicht. Mit dem giftigen Stadtgas, hergestellt durch Kohlevergasung und bis in
die 90er Jahre zum Heizen und Kochen verwendet, brachte sich vorzugsweise die
deutsche Hausfrau um. Es wurde nach der Erschließung großer natürlicher
Lagerstätten vom Erdgas abgelöst. Erdgas ist ungiftig. Zur Entdeckung von
Leckstellen wird es mit Duftstoffen versetzt. Aber Gas ist – auch aus
historischen Gründen – in Deutschland negativ besetzt.
Vielen Ökologen gilt das
Erdgas als geeigneter Energielieferant für die Übergangszeit von Kohle und
Atomkraft zu rein alternativen Energien (Wind, Bioenergien, Wasser). Zwar wird
bei seiner Verarbeitung auch das Treibhausgas Methan frei, aber Erdgas
verbrennt dank geringer Verunreinigungen umweltfreundlicher als andere fossile
Brennstoffe. Dennoch werden die Vorräte irgendwann erschöpft sein. Erdgas ist
also kein nachhaltiger Energieträger, auch kein intelligentes Produkt in dem
Sinne, wie jeder neue Mikrochip eine Unmenge von Innovationen enthält und den
Fortschritt jedes Mal erheblich beschleunigt. Erotisch ist Erdgas aber ganz
sicher für diejenigen, die damit Geld verdienen.
Dazu zählt der
halbstaatliche russische Monopolist Gazprom, der zu 50% in russischer
Staatshand ist. Dieser Konzern verschafft dem Erdgas ein zusätzliches
Image-Problem. Die pure wirtschaftliche Potenz des Unternehmens ist auf den
ersten Blick erdrückend. Gazprom erwirtschaftete 2007 93 Mrd US$, das sind 7%
des russischen Bruttosozialprodukts und das 2,5-fache der Rüstungsausgaben.
Diese beeindruckenden Zahlen verdecken aber erhebliche interne Schwierigkeiten.
Viel zu wenig wird in die Erschließung neuer Gas-Förderstätten investiert. In
absehbarer Zeit könnte es dadurch sogar zu Gasmangel in Russland selbst kommen,
zu Lasten des Exports. Große Vermögenswerte gehen durch Korruption verloren.
Aktiva des Unternehmens werden zur Belohnung von Günstlingen des Regimes hin-
und hergeschoben (vgl. den Nemzov-Milov-Report „Putin und Gazprom“). Diese
brisante Mischung – mangelnde betriebswirtschaftliche Effizienz und Missbrauch
der Monopolmacht zu politischen Zwecken – sind für die russische Wirtschaft
insgesamt kennzeichnend. Michail Chodorkowskis Ölunternehmen JUKOS wurde nicht
zuletzt deshalb zerschlagen, weil seine Transparenz die dunklen Geschäfte
vieler anderer gefährdete. Nach dem Machtantritt von Vladimir Putin wird
Gazprom zunehmend als geopolitisches Instrument eingesetzt.
In die Schlagzeilen geriet
Gazprom, als Russland Anfang 2006 die Gashähne zur Ukraine abdrehte. Womöglich
hatten der Konzern und die russische Regierung gehofft, das Augenmerk der
Weltöffentlichkeit – insbesondere Europas – auf ukrainische Mauscheleien und
Unzuverlässigkeiten zu lenken. Die Wirkung war aber entgegengesetzt, wie auch
jüngst im Georgienkrieg. Westeuropa erlitt Liefereinbußen, und die übergroße
Abhängigkeit von russischen Energielieferungen rückte erst recht ins Augenmerk.
2007 drehte der russische Pipeline-Monopolist Transneft im Öl-Streit
Weißrussland den Hahn zu. Diese Vorgänge schärften die Empfindsamkeit der
Europäer dafür, dass Russland seine Energielieferungen auch einmal gegenüber
Westeuropa zu politischen Zwecken benutzen könnte. Zwar wird gern auf die große
Lieferverlässlichkeit Russlands seit 30 Jahren hingewiesen. Das gilt aber nur
für das bilaterale deutsch-russische Verhältnis. Ein abschreckendes
Gegenbeispiel ist der Fall der litauischen Großraffinerie Mazeikiai Nafta. Für
die Raffinerie hatten die russischen Unternehmen LUKOIL und Transneft geboten.
Sobald der polnische Konzern PKN ORLEN 2006 den Zuschlag für diese Raffinerie
aus der Konkursmasse des JUKOS-Konzerns erhalten hatte, meldete Transneft einen
Bruch in der Druschba-Ölpipeline und stellte die Lieferungen „aus technischen
Gründen“ ein. Diese Lieferunterbrechung dauert bis heute (!) an und bringt die
Raffinerie in große Schwierigkeiten, da sie ihr Öl jetzt über die Schiene
beziehen muss. Schon seit 1999 hatten Lukoil und Transneft versucht, die
Mazeikiai-Raffinerie und den lettischen Ölausfuhrhafen Ventspils zu übernehmen.
Die russischen Gesellschaften drosselten ihre Öllieferungen und stellten sie
zeitweise ganz ein, um Mazeikiai und Ventspils in den Bankrott zu treiben und
dann billig aufkaufen zu können. Mazeikiai überlebte dank der Übernahme durch
den Jukos-Konzern. Dieser Fall zeigt, wie gefährlich eine mit politischer
Instrumentalisierung einhergehende Monopolisierung in der Energiewirtschaft
ist.
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