Dankesrede von Antje-Ritter-Jasińska
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Frau
Prof.
Schwan, liebe Frau Prof. Süssmuth, sehr geehrter Herr Präsident, sehr
verehrtes
Kuratorium, lieber Herr Vietig, sehr geehrter Herr Detjen , liebe
Freunde,
liebe Familie!
Meine Freude darüber, heute für das
Magazin
„polenplus“ den Viadrina-Preis entgegennehmen zu dürfen, ist unendlich
groß. Um
so mehr als „polenplus“ erst seit knapp zwei Jahren existiert. Dies
wäre nicht
möglich gewesen ohne die Hilfe vieler Hände und Köpfe. Ich möchte
deshalb nicht
versäumen, mich zu bedanken. Bei allen Mitarbeitern, Autoren und
Übersetzern
für Offenheit, Kreativität und Spontanität, bei meiner Familie und
meinem Mann
für stete Einsatzbereitschaft, bei der Stiftung für Deutsch-Polnische
Zusammenarbeit für den Glauben, den sie von Anfang an in uns gesetzt
hat, bei
Michael Okraj für sensible und mutige Visualisierung, bei Dr. Olaf Kühl
für Rat
und Tat, bei allen, die uns unterstützen und unterstützt haben, bei
unseren
Lesern dafür, dass sie anspruchsvoll sind, und nicht zuletzt bei der
Viadrina
Universität für diese Auszeichnung.
Polenplus ist entstanden, weil wir an
einen
Bewusstseinswandel glauben, der sich in erster Linie über die Sinne
vollzieht.
Sie sind unmittelbar, unkonstruiert, können sich nicht verschließen,
sind
bereit, sich verzaubern zu lassen. Der Intellekt aber möchte etwas
anderes,
möchte verstehen und möchte nicht unterfordert sein. Manchmal ertappe
ich mich
dabei, ihn als einen achten Sinn zu begreifen, denn im Einklang mit den
fünf,
sechs oder meinetwegen auch sieben Sinnen leistet er etwas
Fantastisches: Er
lässt uns Polen verstehen. Fehlt nur noch der Humor und schon könnten
Polen und
Deutsche die besten Nachbarn sein.
Das Bedürfnis der Deutschen, Polen in einem modernen und attraktiven Licht sehen zu wollen, sollten und müssen wir auch befriedigen. Die Zeit ist überreif für einen Imagewandel, für Partnerschaft auf Augenhöhe. Das will „polenplus“. Und weil das bekanntlich Zeit und Kraft braucht, ist diese Auszeichnung eine um so höhere Ehre für uns und natürlich auch ein Verpflichtung. Deshalb meinen allerherzlichsten Dank!
Laudatio
auf polenplus von Jürgen Vietig
Sechs Gründe für das
Lob auf polenplus möchte ich
Ihnen – zunächst - nennen: es sind die ersten sechs Hefte, Themenhefte,
dieser
Vierteljahrszeitschrift, die sich mit Polen auf unkonventionelle Weise
beschäftigt:
Polnische Wirtschaft,
Savoir Polski
Ars Polska
Männer Macht Spiele
Curricula Polonica und
Faible für Label
So lauten die Themen – manche auf den
ersten Blick ein
wenig geheimnisvoll, zumal für den, der kein Polnisch und/oder Latein
versteht.
Um eine Art von Geheimtipp für die
Entdeckung des Nachbarlandes geht es polenplus.
Ein Projekt bei dem sich alle Fachleute
zu Beginn einig
waren: so etwas geht nicht. Wer soll das kaufen? Gibt es dafür eine
Zielgruppe?
Nun nach zwei Jahren wissen wir: für die
Zeitschrift
polenplus gibt es eine Leserschaft, ja sogar Abonnenten, die sich alle
drei
Monate überraschen lassen, die etwas Neues über ein bedeutendes Segment
polnischer Gegenwart erfahren wollen.
Doch zurück zu den genannten Heften:
also zuerst zur
Polnischen Wirtschaft.
Dass man in Deutschland heute beim
Stichwort „Polnische
Wirtschaft“ nicht mehr an Chaos, Durcheinander oder ähnliche negative
Konnotationen zu denken hat, versteht sich. Vielmehr stehen hohe Wachstumsraten, sinkende
Arbeitslosenzahlen,
europaweite Mobilität einer Generation gut ausgebildeter Fachkräfte –
und bis
vor kurzem – eine starke Złoty-Währung
im Vordergrund, die es unter anderem dem Orlen-Konzern erlaubte, in Deutschland ein Tankstellennetz zu
übernehmen.
Doch nicht darüber
findet man etwas in polenplus – die Informationen
über Orlen sind in
einschlägigen Wirtschaftsjournalen zu finden. polenplus informiert
über erfolgreiche Klein- und Mittelbetriebe in Polen, z. B.
über einen Einmann – nein – Einfraubetrieb, der
Piroggen herstellt oder über
“Między nami“ „unter uns“ – ein
Warschauer Café, Treffpunkt für Intellektuelle,
zugleich Seifenladen und Verlag, der
ein ambitioniertes Fotomagazin publiziert – alles von einer Polin und
einem
Deutschen gemeinsam initiiert – zeitweise mit einem Ableger in Berlin,
der das
Wochenendrestaurant „Między nami“ für Eingeweihte in der Joachimstraße
in
Berlin-Mitte betrieb.
„Ein Gesamtkunstwerk aus Lässigkeit und
einer gewissen
Ordnung…eine Komposition aus Geschmack und Verzicht, Offenheit und
Abgrenzung,
Beständigkeit und Flexibilität, Wärme und Lust auf Innovation“ – so
beschreibt
polenplus „Między nami“ – und man tut polenplus kein Unrecht, wenn man
diese
Definition auf das Magazin selbst überträgt. Dieser Geist von „Między
nami“
weht auch durch polenplus.
Heft 2 von polenplus, also Savoir
Polski, macht mit den
verschiedenen Spielarten des polnischen Savoir vivre bekannt, nennt
Koch- und
Backrezepte, weist aber auch den deutschen Touristen, der mit Hilfe
seines
Wörterbuches „Bar mleczny“ mit Milchbar übersetzt hat und eine Auswahl
von
Milchmixgetränken erwartet, nachdrücklich auf seinen Irrtum hin.
Denn – so klärt polenplus auf – im
Polnischen ist die
Milchbar eine Gaststätte, in der sozusagen die Sättigungsbeilage zum
Hauptgericht avanciert. Die Milchbar hieß so, „weil dort ausschließlich
vegetarische Speisen serviert wurden, die aus Milch, Eiern Mehl,
Buchweizen und
Gemüse bestanden.“ Doch es waren nicht überzeugte Vegetarier, die als
Köche und
Kunden die polnischen Milchbars bevölkerten, sondern sie kamen, weil es
in den
Geschäften kein Fleisch gab. Bis heute werden die Milchbars vom Staat
subventioniert
und bieten Studenten und Obdachlosen, Angestellten im Businessdress und
Arbeitslosen und eben auch kundigen Touristen ein kostengünstiges
Mittagessen.
Dass man Arbeitslose wieder in Arbeit
bringen lassen
kann, wie man die Arbeitslosenquote von 30 auf vier Prozent senken kann
- das
erklärt beim Bigos, dem polnischen Nationalgericht, der Bürgermeister
des
kleinen Ortes Seidenberg (Zawidów), der ohne polenplus in Deutschland
wahrscheinlich unbekannt geblieben wäre.
Die Milchbar, der Bigos , die polnischen
Biobauern und
der polnische Weinmarkt, das sind Mosaiksteine , aus denen sich ein
unkonventionelles kulinarisch-ökonomisches Polenbild gewinnen lässt,
und wenn
es heißt „Leben wie Gott in Polen“, dann weiß Gesine Schwan den
künstlerisch-politisch-philosophischen Hintergrund
zu erläutern, der Polen als „Freiheit im Herzen Europas“
erscheinen lässt.
Ganz der Kunst Polens ist Heft drei
gewidmet. Tadeusz
Kantor und Jerzy Grotowski, denen polenplus einen Artikel widmet, sind
auch
deutschen Theaterkennern gut bekannt und polnischer Jazz hat
hierzulande seine
Liebhaber; dagegen dürfte der Comic-Held, der Super-bohater Wilq noch
weitgehend unbekannt gewesen sein – bis
polenplus über
ihn berichtete. Oder wer kannte schon den Fotografen Łukasz Skąpski der
von
polnischen Bauern selbst gebauten Traktoren mit der Kamera festhielt:
Traktoren, die aus der Not geboren wurden, weil die Wartezeiten für
einen Ursus
– Trecker unendlich lang dauerten, Traktoren also der Marke Eigenbau,
auf denen
die Besitzer thronen, als handele es sich um teuere Luxuswagen – so
polenplus.
Männer Macht Spiele – wer würde bei
dieser
polenplus-Thematik nicht an die Zwillingsbrüder Lech und Jarosław
Kaczynski
denken, die als kindliche Filmschauspieler begonnen haben und bis heute
Macht
ausüben. Doch polenplus geht es nicht um aktuelle Politik, sondern um
das
Rollenverständnis des polnischen Mannes: „Er küsst die Hand und hat
schmutzige
Schuhe“ so das von polenplus zitierte Urteil einer Polin, das aber
gegenüber
der Realität nicht standhält, die sich als sehr viel mannigfaltiger
darstellt.
Das zeigen in dem Themenheft unter
anderem ein Interview
mit dem Theaterregisseur Janusz Opryński, eine Reportage über
Homosexuelle in
Polen und Porträts von erfolgreichen Polen in der IT-Branche.
Aus diesen Beispielen wird ersichtlich,
welch ein
farbiges realitäts- und alltagsnahes Bild polenplus von unserem
Nachbarland
zeichnet. Henri Nannen gab einst für den „Stern“ die berühmte Losung
aus, er
müsse stets einer Wundertüte gleichen.
polenplus wird dieser Anforderung ohne
weiteres gerecht:
Zunächst natürlich durch den Inhalt,
über den ich
gesprochen habe; aber genauso durch das äußere Bild, durch das
ungewöhnlich
kunstvolle Design. Wie hier mit Farben und Formen gespielt, eine
Lebendigkeit
für den Betrachter erzeugt wird, sucht schon seines gleichen. So
aufregend das
äußere Bild auf den ersten Blick erscheint – so viel Ruhe, Raum zum
Nachdenken
lässt es. Die Seiten sind nicht immer bis zur letzten Zeile mit Text
oder
Bildern gefüllt. Es gibt textlose Zeilen, nur mit farbigen Balken
ausgefüllt,
die den Leser zu einer schöpferischen
Pause einladen – oder irritieren.
Gepflegt werden auch die farbigen Kopf-
und Fußnoten, die
Randnotizen, die dem des Nachbarlandes Unkundigen Hilfe zum Verständnis
geben.
Da erfährt der Leser, dass sich hinter
dem polnischen
Namen Wit Stwosz der Nürnberger Künstler Veit Stoß verbirgt. Oder der
Name der
Künstlergruppe Twożywo wird als eine Kreation aus den Wörtern Tworzywo = Werkstoff, tworzyć = schaffen und żywo =
lebendig erklärt und gleichzeitig noch
die Internetadresse der Gruppe genannt.
Und wem nach zwei Monaten irgendwann
einfällt, er habe in
polenplus etwas über eine Künstlergruppe aus Polen gelesen, deren Name mit „T“ anfing, wird sie schnell
wiederfinden. Denn polenplus hat nicht nur ein Inhaltsverzeichnis; in
jeder
Ausgabe finden sich darüber hinaus auch noch ein Personen – und ein
Sachregister, die das Wiederauffinden von Texten ungemein erleichtern.
Wenn man all diese Vorzüge von polenplus
zusammennimmt,
kommt man zu dem Schluss, dass hier ein auf dem Zeitschriftenmarkt
eingespieltes, erfahrenes professionelles Team am Werke war, das die
Zeitschrift polenplus aus der Taufe hob.
Doch die Entstehungsgeschichte verlief
anders:
Ausgangspunkt war die Idee einer enthusiastischen Polonistin, Polen
einmal
anders als durch die Brille der Historie darzustellen. Zweiter
Weltkrieg,
deutsche Besatzungszeit, Auschwitz
Getto-Aufstand und Warschauer Aufstand, Vertreibung,
Kommunismus und
Katholische Kirche, Solidarność und Versöhnung – für diese Themen gab
und gibt
es bereits kompetente Foren.
Polenplus – unter der Leitung von Antje
Ritter-Jasińska
und Elisabeth Martha Münchow - wollte etwas darüber hinaus bieten: ein
Land
beschreiben, dessen Gegenwart für seine Nachbarn interessant ist.
Das Geld für das Projekt, das nach
einjähriger
Vorbereitungszeit startete, stammte zunächst aus einer Abfindung für
einen
erzwungenen Wohnungs-Umzug und aus der Hand privater Sponsoren, später
kam die
Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit hinzu. Der Designer
Michael Okraj
wurde durch eine Anzeige in einem Stadtmagazin gefunden, den Vertrieb
übernahm
ein auf Nischenprodukte spezialisiertes Unternehmen: polenplus wird an
den
Bahnhofsbuchhandel sowie Buchhandlungen in mehreren Bundesländern, in
das
deutsch-polnische Grenzgebiet und nach Polen in einer Auflage von 15
000
ausgeliefert und ist im Abonnement erhältlich.
Als Autoren konnten gleich zu Beginn
Andrzej Stasiuk und
Olaf Kühl gewonnen werden, letzterer auch als Übersetzer.
Die Kooperation mit dem Zamek
Ujazdowski, dem Zentrum für
moderne Kunst, garantiert, dass das Blatt über neueste künstlerische
Entwicklungen in Polen informiert ist.
Unserem Kuratorium lagen bei der
Entscheidung über die
Preisverleihung die ersten sechs Hefte vor, inzwischen gibt es ein
siebtes, das
-möchte ich anfügen- ganz besonders gelungen ist und den Viadrina-Preis
für
polenplus erneut rechtfertigt – dort wird der kühne Versuch
unternommen, den
deutschen Lesern die polnische Sprache näher zu bringen – und das mit
einem
überraschenden Einstieg: nämlich mit einem Artikel über Esperanto, die
vom
Augenarzt Ludwik Zamenhof aus Białystok entwickelte Kunst-Sprache, die
keine
grammatikalischen Ausnahmen kennt. Damit ist Esperanto geradezu das
Gegenteil
von Polnisch; Esperanto das – wie die satirische Internet-unceklopedie
behauptet - entwickelt wurde, um
zerebrale Frakturen bei polnischen Grundschülern zu verhindern.
Polenplus lässt
sich von solchen Gemeinheiten aber nicht beeinflussen: In einem
fünfseitigen
Aussprachekurs des Polnischen werden die Leser darauf vorbereitet, am
Schluss
der Lektüre den polnischen Zungenbrecher vom Käfer, der im Schilf von
Szczebrzeszyn summt, zu sprechen:
W Szczebrzeszynie chrząszcz
brzmi w trzcinie i
Szczebrzeszyn z tego słynie.
Dies vom Leser zu fordern –
ist eine ganze Menge,
aber für ihn wie für polenplus gilt die Maxime des polnischen
Nationaldichters
Adam Mickiewicz:
Mierz siłę na
zamiary,
Nie zamiar podług
sił.
Zu deutsch:
Die Kräfte miss
an den Zielen,
nicht die Ziele
an Deinen Kräften.
Polenplus will Polen als modernes
europäisches Land
präsentieren – so lautet eins der Ziele, die sich die Redaktion gesetzt
hat und
- Zitat -„Wer polenplus liest, will den Blick auf Augenhöhe.“ Zwei
Ziele, die
das Blatt ohne Abstriche realisiert.
Insofern erfüllt es die Voraussetzungen
des
Viadrina-Preises, der die Arbeit für die deutsch-polnische
Verständigung
auszeichnen will, in hervorragender
Weise.
Im Namen der Jury darf ich Ihnen Frau
Ritter- Jasińska
und allen Mitarbeitern von polenplus herzlich gratulieren – und den
polnischen
Glückwunsch anfügen: Sto lat – hundert Jahre möge polenplus leben.
Jürgen
Vietig