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Rita Süssmuth und Antje Ritter-Jasińska
Rita Süssmuth und Antje Ritter-Jasińska,
Trägerinnen des Viadrina-Preises 2008

Viadrina-Preis für PolenPlus Antje Ritter-Jasinska
Die Preisträgerinnen Rita Süssmuth und Antje Ritter-Jasińska
zwischen Gunter Pleuger und Claus Detjen

Laudatio von Jürgen Vietig

Dankesrede von Antje-Ritter-Jasińska

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Frau Prof. Schwan, liebe Frau Prof. Süssmuth, sehr geehrter Herr Präsident, sehr verehrtes Kuratorium, lieber Herr Vietig, sehr geehrter Herr Detjen , liebe Freunde, liebe Familie!

Meine Freude darüber, heute für das Magazin „polenplus“ den Viadrina-Preis entgegennehmen zu dürfen, ist unendlich groß. Um so mehr als „polenplus“ erst seit knapp zwei Jahren existiert. Dies wäre nicht möglich gewesen ohne die Hilfe vieler Hände und Köpfe. Ich möchte deshalb nicht versäumen, mich zu bedanken. Bei allen Mitarbeitern, Autoren und Übersetzern für Offenheit, Kreativität und Spontanität, bei meiner Familie und meinem Mann für stete Einsatzbereitschaft, bei der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit für den Glauben, den sie von Anfang an in uns gesetzt hat, bei Michael Okraj für sensible und mutige Visualisierung, bei Dr. Olaf Kühl für Rat und Tat, bei allen, die uns unterstützen und unterstützt haben, bei unseren Lesern dafür, dass sie anspruchsvoll sind, und nicht zuletzt bei der Viadrina Universität für diese Auszeichnung.

Polenplus ist entstanden, weil wir an einen Bewusstseinswandel glauben, der sich in erster Linie über die Sinne vollzieht. Sie sind unmittelbar, unkonstruiert, können sich nicht verschließen, sind bereit, sich verzaubern zu lassen. Der Intellekt aber möchte etwas anderes, möchte verstehen und möchte nicht unterfordert sein. Manchmal ertappe ich mich dabei, ihn als einen achten Sinn zu begreifen, denn im Einklang mit den fünf, sechs oder meinetwegen auch sieben Sinnen leistet er etwas Fantastisches: Er lässt uns Polen verstehen. Fehlt nur noch der Humor und schon könnten Polen und Deutsche die besten Nachbarn sein.

Das Bedürfnis der Deutschen, Polen in einem modernen und attraktiven Licht sehen zu wollen, sollten und müssen wir auch befriedigen. Die Zeit ist überreif für einen Imagewandel, für Partnerschaft auf Augenhöhe. Das will „polenplus“. Und weil das bekanntlich Zeit und Kraft braucht, ist diese Auszeichnung eine um so höhere Ehre für uns und natürlich auch ein Verpflichtung. Deshalb meinen allerherzlichsten Dank!

Laudatio auf polenplus von Jürgen Vietig

Sechs Gründe für das  Lob auf  polenplus möchte ich Ihnen – zunächst - nennen: es sind die ersten sechs Hefte, Themenhefte, dieser Vierteljahrszeitschrift, die sich mit Polen auf unkonventionelle Weise beschäftigt:

Polnische Wirtschaft,

Savoir Polski

Ars Polska

Männer Macht Spiele

Curricula Polonica und

Faible für Label

So lauten die Themen – manche auf den ersten Blick ein wenig geheimnisvoll, zumal für den, der kein Polnisch und/oder Latein versteht. Um eine Art von  Geheimtipp für die Entdeckung des Nachbarlandes geht es polenplus.

Ein Projekt bei dem sich alle Fachleute zu Beginn einig waren: so etwas geht nicht. Wer soll das kaufen? Gibt es dafür eine Zielgruppe?

Nun nach zwei Jahren wissen wir: für die Zeitschrift polenplus gibt es eine Leserschaft, ja sogar Abonnenten, die sich alle drei Monate überraschen lassen, die etwas Neues über ein bedeutendes Segment polnischer Gegenwart erfahren wollen.

Doch zurück zu den genannten Heften: also zuerst zur Polnischen Wirtschaft.

Dass man in Deutschland heute beim Stichwort „Polnische Wirtschaft“ nicht mehr an Chaos, Durcheinander oder ähnliche negative Konnotationen zu denken hat, versteht sich. Vielmehr stehen  hohe Wachstumsraten, sinkende Arbeitslosenzahlen, europaweite Mobilität einer Generation gut ausgebildeter Fachkräfte – und bis vor kurzem –  eine starke Złoty-Währung im Vordergrund, die es unter anderem dem Orlen-Konzern erlaubte,  in Deutschland ein Tankstellennetz zu übernehmen.

Doch nicht darüber  findet man etwas in polenplus – die Informationen über Orlen sind in einschlägigen Wirtschaftsjournalen zu finden. polenplus informiert über erfolgreiche Klein- und Mittelbetriebe in Polen, z. B. über einen Einmann – nein – Einfraubetrieb, der Piroggen herstellt oder über “Między nami“ „unter uns“ – ein Warschauer Café, Treffpunkt für Intellektuelle, zugleich Seifenladen und  Verlag, der ein ambitioniertes Fotomagazin publiziert – alles von einer Polin und einem Deutschen gemeinsam initiiert – zeitweise mit einem Ableger in Berlin, der das Wochenendrestaurant „Między nami“ für Eingeweihte in der Joachimstraße in Berlin-Mitte betrieb.

„Ein Gesamtkunstwerk aus Lässigkeit und einer gewissen Ordnung…eine Komposition aus Geschmack und Verzicht, Offenheit und Abgrenzung, Beständigkeit und Flexibilität, Wärme und Lust auf Innovation“ – so beschreibt polenplus „Między nami“ – und man tut polenplus kein Unrecht, wenn man diese Definition auf das Magazin selbst überträgt. Dieser Geist von „Między nami“ weht auch durch polenplus.

Heft 2 von polenplus, also Savoir Polski, macht mit den verschiedenen Spielarten des polnischen Savoir vivre bekannt, nennt Koch- und Backrezepte, weist aber auch den deutschen Touristen, der mit Hilfe seines Wörterbuches „Bar mleczny“ mit Milchbar übersetzt hat und eine Auswahl von Milchmixgetränken erwartet, nachdrücklich auf seinen Irrtum hin.

Denn – so klärt polenplus auf – im Polnischen ist die Milchbar eine Gaststätte, in der sozusagen die Sättigungsbeilage zum Hauptgericht avanciert. Die Milchbar hieß so, „weil dort ausschließlich vegetarische Speisen serviert wurden, die aus Milch, Eiern Mehl, Buchweizen und Gemüse bestanden.“ Doch es waren nicht überzeugte Vegetarier, die als Köche und Kunden die polnischen Milchbars bevölkerten, sondern sie kamen, weil es in den Geschäften kein Fleisch gab. Bis heute werden die Milchbars vom Staat subventioniert und bieten Studenten und Obdachlosen, Angestellten im Businessdress und Arbeitslosen und eben auch kundigen Touristen ein kostengünstiges Mittagessen.

Dass man Arbeitslose wieder in Arbeit bringen lassen kann, wie man die Arbeitslosenquote von 30 auf vier Prozent senken kann - das erklärt beim Bigos, dem polnischen Nationalgericht, der Bürgermeister des kleinen Ortes Seidenberg (Zawidów), der ohne polenplus in Deutschland wahrscheinlich unbekannt geblieben wäre.

Die Milchbar, der Bigos , die polnischen Biobauern und der polnische Weinmarkt, das sind Mosaiksteine , aus denen sich ein unkonventionelles kulinarisch-ökonomisches Polenbild gewinnen lässt, und wenn es heißt „Leben wie Gott in Polen“, dann weiß Gesine Schwan den künstlerisch-politisch-philosophischen Hintergrund  zu erläutern, der Polen als „Freiheit im Herzen Europas“ erscheinen lässt.

Ganz der Kunst Polens ist Heft drei gewidmet. Tadeusz Kantor und Jerzy Grotowski, denen polenplus einen Artikel widmet, sind auch deutschen Theaterkennern gut bekannt und polnischer Jazz hat hierzulande seine Liebhaber; dagegen dürfte der Comic-Held, der Super-bohater Wilq noch

weitgehend unbekannt gewesen sein – bis polenplus über ihn berichtete. Oder wer kannte schon den Fotografen Łukasz Skąpski der von polnischen Bauern selbst gebauten Traktoren mit der Kamera festhielt: Traktoren, die aus der Not geboren wurden, weil die Wartezeiten für einen Ursus – Trecker unendlich lang dauerten, Traktoren also der Marke Eigenbau, auf denen die Besitzer thronen, als handele es sich um teuere Luxuswagen – so polenplus.

Männer Macht Spiele – wer würde bei dieser polenplus-Thematik nicht an die Zwillingsbrüder Lech und Jarosław Kaczynski denken, die als kindliche Filmschauspieler begonnen haben und bis heute Macht ausüben. Doch polenplus geht es nicht um aktuelle Politik, sondern um das Rollenverständnis des polnischen Mannes: „Er küsst die Hand und hat schmutzige Schuhe“ so das von polenplus zitierte Urteil einer Polin, das aber gegenüber der Realität nicht standhält, die sich als sehr viel mannigfaltiger darstellt.

Das zeigen in dem Themenheft unter anderem ein Interview mit dem Theaterregisseur Janusz Opryński, eine Reportage über Homosexuelle in Polen und Porträts von erfolgreichen Polen in der IT-Branche.

Aus diesen Beispielen wird ersichtlich, welch ein farbiges realitäts- und alltagsnahes Bild polenplus von unserem Nachbarland zeichnet. Henri Nannen gab einst für den „Stern“ die berühmte Losung aus, er müsse stets einer Wundertüte gleichen.

polenplus wird dieser Anforderung ohne weiteres gerecht:

Zunächst natürlich durch den Inhalt, über den ich gesprochen habe; aber genauso durch das äußere Bild, durch das ungewöhnlich kunstvolle Design. Wie hier mit Farben und Formen gespielt, eine Lebendigkeit für den Betrachter erzeugt wird, sucht schon seines gleichen. So aufregend das äußere Bild auf den ersten Blick erscheint – so viel Ruhe, Raum zum Nachdenken lässt es. Die Seiten sind nicht immer bis zur letzten Zeile mit Text oder Bildern gefüllt. Es gibt textlose Zeilen, nur mit farbigen Balken ausgefüllt, die den Leser zu einer  schöpferischen Pause einladen – oder irritieren.

Gepflegt werden auch die farbigen Kopf- und Fußnoten, die Randnotizen, die dem des Nachbarlandes Unkundigen Hilfe zum Verständnis geben.

Da erfährt der Leser, dass sich hinter dem polnischen Namen Wit Stwosz der Nürnberger Künstler Veit Stoß verbirgt. Oder der Name der Künstlergruppe Twożywo wird als eine Kreation aus den Wörtern Tworzywo  = Werkstoff, tworzyć = schaffen und żywo = lebendig  erklärt und gleichzeitig noch die Internetadresse der Gruppe genannt.

Und wem nach zwei Monaten irgendwann einfällt, er habe in polenplus etwas über eine Künstlergruppe aus Polen gelesen, deren Name  mit „T“ anfing, wird sie schnell wiederfinden. Denn polenplus hat nicht nur ein Inhaltsverzeichnis; in jeder Ausgabe finden sich darüber hinaus auch noch ein Personen – und ein Sachregister, die das Wiederauffinden von Texten ungemein erleichtern.

Wenn man all diese Vorzüge von polenplus zusammennimmt, kommt man zu dem Schluss, dass hier ein auf dem Zeitschriftenmarkt eingespieltes, erfahrenes professionelles Team am Werke war, das die Zeitschrift polenplus aus der Taufe hob.

Doch die Entstehungsgeschichte verlief anders: Ausgangspunkt war die Idee einer enthusiastischen Polonistin, Polen einmal anders als durch die Brille der Historie darzustellen. Zweiter Weltkrieg, deutsche Besatzungszeit, Auschwitz  Getto-Aufstand und Warschauer Aufstand, Vertreibung, Kommunismus und Katholische Kirche, Solidarność und Versöhnung – für diese Themen gab und gibt es bereits kompetente Foren.

Polenplus – unter der Leitung von Antje Ritter-Jasińska und Elisabeth Martha Münchow - wollte etwas darüber hinaus bieten: ein Land beschreiben, dessen Gegenwart für seine Nachbarn interessant ist.

Das Geld für das Projekt, das nach einjähriger Vorbereitungszeit startete, stammte zunächst aus einer Abfindung für einen erzwungenen Wohnungs-Umzug und aus der Hand privater Sponsoren, später kam die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit hinzu. Der Designer Michael Okraj wurde durch eine Anzeige in einem Stadtmagazin gefunden, den Vertrieb übernahm ein auf Nischenprodukte spezialisiertes Unternehmen: polenplus wird an den Bahnhofsbuchhandel sowie Buchhandlungen in mehreren Bundesländern, in das deutsch-polnische Grenzgebiet und nach Polen in einer Auflage von 15 000 ausgeliefert und ist im Abonnement erhältlich.

Als Autoren konnten gleich zu Beginn Andrzej Stasiuk und Olaf Kühl gewonnen werden, letzterer auch als Übersetzer.

Die Kooperation mit dem Zamek Ujazdowski, dem Zentrum für moderne Kunst, garantiert, dass das Blatt über neueste künstlerische Entwicklungen in Polen informiert ist.

Unserem Kuratorium lagen bei der Entscheidung über die Preisverleihung die ersten sechs Hefte vor, inzwischen gibt es ein siebtes, das -möchte ich anfügen- ganz besonders gelungen ist und den Viadrina-Preis für polenplus erneut rechtfertigt – dort wird der kühne Versuch unternommen, den deutschen Lesern die polnische Sprache näher zu bringen – und das mit einem überraschenden Einstieg: nämlich mit einem Artikel über Esperanto, die vom Augenarzt Ludwik Zamenhof aus Białystok entwickelte Kunst-Sprache, die keine grammatikalischen Ausnahmen kennt. Damit ist Esperanto geradezu das Gegenteil von Polnisch; Esperanto das – wie die satirische Internet-unceklopedie behauptet -  entwickelt wurde, um zerebrale Frakturen bei polnischen Grundschülern zu verhindern. Polenplus lässt sich von solchen Gemeinheiten aber nicht beeinflussen: In einem fünfseitigen Aussprachekurs des Polnischen werden die Leser darauf vorbereitet, am Schluss der Lektüre den polnischen Zungenbrecher vom Käfer, der im Schilf von Szczebrzeszyn summt, zu sprechen:

W Szczebrzeszynie chrząszcz brzmi w trzcinie i Szczebrzeszyn z tego słynie.

Dies vom Leser zu fordern – ist eine ganze Menge, aber für ihn wie für polenplus gilt die Maxime des polnischen Nationaldichters Adam Mickiewicz:

Mierz siłę na zamiary,

Nie zamiar podług sił.

Zu deutsch:

Die Kräfte miss an den Zielen,

nicht die Ziele an Deinen Kräften.

Polenplus will Polen als modernes europäisches Land präsentieren – so lautet eins der Ziele, die sich die Redaktion gesetzt hat und - Zitat -„Wer polenplus liest, will den Blick auf Augenhöhe.“ Zwei Ziele, die das Blatt ohne Abstriche realisiert.

Insofern erfüllt es die Voraussetzungen des Viadrina-Preises, der die Arbeit für die deutsch-polnische Verständigung auszeichnen will, in  hervorragender Weise.

Im Namen der Jury darf ich Ihnen Frau Ritter- Jasińska und allen Mitarbeitern von polenplus herzlich gratulieren – und den polnischen Glückwunsch anfügen: Sto lat – hundert Jahre möge polenplus leben.

Jürgen Vietig