Dr. Olaf Kühl
Referent des Regierenden Bürgermeisters von Berlin
für Russland und die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion
Grußwort
auf dem Deutsch-Russischen Symposium „Verwaltung und Recht: Reformimpulse durch akademische Ausbildung und Hochschulkooperation"
Hochschule für Wirtschaft und Recht
Institut für Verwaltungsmodernisierung und Polizeireform in Mittel- und Osteuropa (IMO), Campus Lichtenberg, Alt-Friedrichsfelde 60, 10315 Berlin.
23. April 2012

Sehr geehrter Herr Vizepräsident Prof. Dr. Zaby, 
sehr geehrte Gäste aus der Russischen Föderation, 
sehr geehrte Damen und Herren,

im Namen des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit, darf ich Sie heute hier in der Hochschule für Wirtschaft und Recht begrüßen und allen Teilneh­mern, besonders den Gästen aus Russland, einen angenehmen Aufenthalt in Berlin wünschen.

Für den Berliner Senat besitzt die Zusammenarbeit mit Russland eine ganz beson­dere Priorität. Seit 1991 pflegen wir die Städtepartnerschaft mit Moskau. Sie gehört zu den aktivsten der 17 Städtepartnerschaften des Landes und umfasst fast alle Be­reiche der kommunalen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Allerdings nimmt die Zusammenarbeit mit Peking rasant an Intensität zu und gefährdet inzwischen das Ran­king von Moskau, was die Zahl der Delegationen und Projekte betrifft. Kontakte auf allen Ebenen, das wissen wir, hängen immer in sehr starkem Maße vom persönlichen Engagement der Beteiligten ab. Deshalb gibt es unter den 17 Partnerschaften Berlins auch manche, die nur auf dem Papier existieren. Dem früheren, langjährigen Oberbür­germeister von Moskau, Jurij Luschkow, konnte man bestimmt so manches vorwer­fen, nicht aber mangelndes Interesse an Deutschland und an Berlin. Leider ist uns mit der Absetzung Luschkows ein Großteil der uns vertrauten Mitarbeiter in der Moskauer Stadtverwaltung verloren gegangen. Daher durchwandern wir im Augenblick gerade eine Durstzone, was die Kommunikation mit der russischen Hauptstadt angeht. Wir sind dennoch zuversichtlich, bald wieder Licht am Horizont zu sehen.

Wegen dieser Priorität bin ich sehr erfreut darüber, dass die Hochschule für Wirt­schaft und Recht seit vielen Jahren ganz intensive Kontakte zu russischen Universitäten pflegt und Partnerschaftsverträge mit der Lomonosov-Universität und der Russischen Universität der Völkerfreundschaft in Moskau sowie mit der Staatlichen Universität für Wirtschaft und Finanzen in St. Petersburg pflegt.

Die ersten Nachwendezeiten, als Berlin und der Westen Russland gegenüber in der Rolle des Lehrers auftraten, was Demokratie und Marktwirtschaft angeht, sind längst vergangen. Heute wird es um den gegenseitigen Austausch gehen, um einen gleich­berechtigten Dialog zweier Rechts- und Verwaltungssysteme, die Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede aufweisen. Ich vermute außerdem, dass die Hochschulausbildung in Russland der deutschen an Qualität keineswegs nachsteht, sondern dass wir hier im Gegenteil von Russland sehr viel lernen können.

Zu dieser Vermutung bringen mich auch Erfahrungen, die ich selbst vor kurzem auf einer zwölftägigen Reise durch Russland gemacht habe, von Wolgograd über Uljanowsk und Samara bis hoch in den Norden, nach Archangelsk und Sewerodwinsk. In jeder Stadt hatte ich Gelegenheit, an den Universitäten mit Studenten zu diskutieren. Und ich war verblüfft von der Qualifikation und der geistigen Offenheit dieser jungen Menschen. Dies war eine Erfahrung, die mich ungemein optimistisch für die Zukunft des Landes gestimmt hat. Man kann davon ausgehen, dass diese Jugend der Gesell­schaft wirklich starke Reformimpulse geben wird. Und man kann hoffen, dass sie sich nicht vom Status quo entmutigen lässt und vorzeitig resigniert und sich anpasst.

Denn natürlich gibt es in Russland Probleme, über die man offen sprechen muss. Nicht etwa, um das Ansehen Russlands in der Welt zu schädigen. Sondern gerade in dem Wunsch, dass diesem Ansehen auf Dauer nicht weiter Schaden zugefügt werden möge. Eines der Probleme ist die Kluft zwischen Rechtstheorie und Rechtswirklichkeit. Diese Kluft bricht oft immer dann auf, wenn politische Interessen einzelner Gruppen in die Rechtsprechung hineinwirken. Das zweite Gerichtsurteil gegen Michail Cho­dorkowskij ist eine offene Farce, was alle ernsthaften Juristen bestätigen. Dieses Ur­teil spricht sämtlichen Maßstäben des gesunden Menschenverstandes und des Rechts hohn. Solange die Richter nicht frei und unabhängig entscheiden können – solange kann man theoretisch lange über die Vervollkommnung des Rechtssystems und der Rechtsprechung diskutieren – praktisch wird sich dann nicht so rasch etwas zum Bes­seren wenden.

Lassen Sie sich von dieser Zwischenbemerkung, die mir einfach sehr am Herzen lag, nicht die Laune verderben. Ich entnehme dem Programm Ihres Symposiums, dass Sie sich vor allem mit der öffentlichen Verwaltung und dem Verwaltungsrecht befas­sen werden. Das ist ein weniger von Minen gespicktes Feld. Hier kann bestimmt die deutsche Seite ebenso viel von der russischen lernen wie umgekehrt. Wichtig scheint mir, dass man offen über alle Fragen miteinander spricht und nie die Neugier auf die Erfahrungen des anderen verliert.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen drei diskussionsreiche und fruchtbare Tage auf dem Campus Lichtenberg und übermittle noch einmal die Grüße des Regierenden Bür­germeisters, Klaus Wowereit, der sich über diese enge Zusammenarbeit der Hochschu­len ganz außerordentlich freut.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Quelle:
Oesten Baller (Hrsg.)

Verwaltung und Recht
in Russland und Deutschland
Beiträge eines deutsch-russischen Symposiums
Deutsch-Russisches Jahr der Bildung, Wissenschaft und Innovation 2011/12

Recht, Sicherheit und Verwaltung
in internationaler Perspektive

Law, Security and Public Administration
in an International Perspektive

Herausgegeben von Prof. Dr. Oesten Baller
Band 1 / Volume 1

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nd.de abrufbar.
ISBN 978-3-8305-3146-3
Zum Webshop des Berliner Wissenschafts-Verlages

© 2012 BWV • BERLINER WISSENSCHAFTS-VERLAG GmbH, Markgrafenstraße 12-14, 10969 Berlin
E-Mail: bwv@bwv-verlag.de • Internet: http://www.bwv-verlag.de Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.