Als das Fluchen noch geholfen hat

Mit dem freitägigen Festwochen-Gastspiel ihres Stücks "Zwei arme Polnisch sprechende Rumänen" gibt die junge Warschauer Autorin Dorota Maslowska ihre Visitenkarte in Wien ab: Porträt eines literarischen Shootingstars.

Ronald Pohl aus Warschau

Wer die junge polnische Autorin Dorota Maslowska (24) in ihrer Heimatstadt Warschau besucht, glaubt sich, mit Blick auf die Glaspaläste hinter den alten Wahrzeichen wie dem Hauptbahnhof und dem Kulturpalast, in ein Konsumparadies versetzt.

Warschau ist "Boomtown": Die Häuserfronten an den wie mit dem Lineal gezogenen Straßen sind mit Reklametafeln überladen. Shoppingmalls mit lasziv geschwungenen Glasdächern würden Städten wie Mailand zur Ehre gereichen. Junge Polinnen und Polen schmücken sich mit Prada und Gucci. Nur an den Frittierbuden in den Unterführungen lagern jene Menschen, die für alle sichtbar mit des "Lebens Notdurft" ringen.

Wieder etwas anderes sind Warschaus Vorstädte. In Praga, östlich der Weichsel gelegen, spielt Maslowskas zweiter, vollkommen irrwitziger Roman: Die Reiherkönigin - ein Rap (erschienen bei Kiepenheuer & Witsch). Es gibt seit den seligen Tagen des großen Witold Gombrowicz keine vergleichbare Prosa in polnischer Sprache: "Alle leben auf der Platte, steh'n beim Amt auf der Matte ...", erzählt Maslowska in Sätzen, die vollgepackt sind mit Reimen und Zitaten.

Das große Flattern

Eine brodelnde Masse aus Slang und Slogans: Die Sätze wirken wie zusammengegossen aus Szene-Rotwelsch und Alltagsschrott. Die Flüche und Obszönitäten dröhnen in den Ohren. "Figuren", die aus den bewachten Wohnbezirken der Superreichen heraustaumeln, um auf zerfallenden Chausseen den nächsten "Fick" anzubahnen, kriegen das große "Vorhautflattern". Sie bahnen sich krumme Wege durch eine zerstörte, verklumpende Stadt voller bornierter Spießer und neureicher Medienarbeiter.

Warschau, das meint auch 18 Jahre nach dem Kollaps des Sozialismus: eine Klassengesellschaft. Hier diejenigen, die vom Florieren der Wachstumsmärkte profitieren. Dort die Masse, die vom Konsum ausgeschlossen bleibt. Viel Prekariat lebt in Praga. Und auch Maslowska, die durchaus bürgerliche Tochter einer Ärztin und eines Seemanns, kennt die unterprivilegierten Viertel aus ihren eigenen Lebenszusammenhängen.

Ob sie aber weiß, wie herrlich subversiv ihr Schreiben in der prachtvollen Übersetzung Olaf Kühls auf gestandene Mitteleuropäer wirkt?

Heute lebt Maslowska, die vor einiger Zeit den prestigeträchtigen Nike-Preis bekam und von ihren Büchern 150.000 Exemplare und mehr in ihrer Heimat verkauft, im Stadtteil Zoliborz: ein Cottage mit modernistischen Villen, die mit blühenden Fliederhecken und sattem Efeu eingewickelt sind.

Auf Maslowskas Bücherbord steht Max Frisch auf Polnisch; in der Küche werden Germteigkügelchen gereicht. Zuvor war man im Gassengewirr von Zoliborz auf überquellende Betonkirchen gestoßen. In einer wurde des 1984 vom kommunistischen Geheimdienst ermordeten Priesters Jerzy Popieluszko gedacht. Polen in anthrazitgrauen Anzügen stehen zu Dutzenden vor den Außenlautsprechern. Im Italiener an der Ecke trinken stille Menschen aus großen Humpen einheimisches Bier.

Maslowskas Erstling Schneeweiß und Russenrot (2002) war bereits ein viel beachtetes Fanal: Der Jargon war eine Hommage an die No-Future-Generation aus den Plattenbauten: an die Jugendlichen ohne Perspektive, denen auch noch das Recht auf Rebellion aus der Tasche gezogen und als Kette von Produkten auf den Konsummarkt geschmissen wird.

Maslowska betont, dass ihr Schreiben "künstlich" sei: "Ich finde einfach Spaß daran, eine Wirklichkeit aus dem Nichts zu erfinden, um sie anschließend in ihre Einzelteile zerfallen zu lassen."

Vergleich mit Gombrowicz

Über den Vergleich mit Gombrowicz, dem großen Absurden, den es einst nach Argentinien und Paris verschlug, lächelt sie, wenngleich nicht übermäßig geschmeichelt. Woher rührt aber ihre Kaltschnäuzigkeit? Ist Warschau einfach ein raueres Pflaster als eine beliebige Stadt aus der "alten" kapitalistischen Welt?

Maslowska: "Ich war bis jetzt immer der Überzeugung, dass in Westeuropa die Beziehungen zwischen den Menschen durch einen kulturellen Puffer abgefedert werden. Der Kampf aller gegen alle scheint dort durch Regeln und Umgangsformen eingehegt."

In Polen fänden Kontakte "viel direkter und aggressiver statt: Man besitzt eine gute Chance, mit seinem Gegenüber sofort in einen Streit verwickelt zu werden. Gehst du in eine Bäckerei, läufst du Gefahr, dass die Verkäuferin mit dem Wechselgeld nach dir wirft!"

Sie könne über ihre Umgebung unausgesetzt staunen: "Ich habe erst kürzlich gelesen, dass unseren sozialen Beziehungen gar keine Agressivität zugrunde liegt, sondern Gleichgültigkeit." Diese Idee hält Maslowska für genial: "Vielleicht ist Hass ja bloß eine Abart der Teilnahmslosigkeit?"

Autorinnen wie Maslowksa besitzen die instinktive Fähigkeit, die Ausformungen unserer Massenkultur mit dem ungerührten Blick der Ethnologin zu betrachten: "Man ist doch permanent fremden Gerüchen und Lauten ausgesetzt. Jede Fahrt in der Warschauer U-Bahn ist für mich ein psychedelisches Erlebnis: Ich habe die Brüste einer Person im Gesicht, hinten am Ohr drückt der Bauch einer anderen Person." Das nennt sie, ins Deutsche übersetzt: "Die Leibervielzahl! Man steht in unserer Gesellschaft zusammengepresst. Und doch ist jeder mutterseelenallein."

Junge Mutter ist Maslowska obendrein. Gelegentlich wird sie als Berühmtheit in Talkshows geladen. Den Meinungsmarkt bedient sie zurückhaltend; auf den polnischen Papst hat sie einen berührenden Nachruf geschrieben.

Überhaupt sind ihr, die so schnoddrig über die Nöte der mit ihr zeitgleich Sozialisierten schreibt, "Werte" wichtig. Nur als angepasst würde sie sich niemals beschreiben: "Das System wehrt sich doch erfolgreich dagegen, die von mir überbrachten ,Nachrichten' anzunehmen. Ich merke das soeben aus Anlass der Verfilmung meines Romanerstlings: Der Text ist obszön und brutal - schon weil ich die Perspektive des ,Machos' einnehme. Jeder in Warschau spricht so, wenn er aus dem Haus geht. Nur wenn diese Sprache in die Literatur hinüberwandert, reagieren alle maßlos schockiert!"

Der szenische "Roadmovie" Zwei arme Polnisch sprechende Rumänen ist - nach zwei ins Deutsche übertragenen Romanen - Dorota Maslowskas Theaterdebüt: ein Anhalterdrama mit fließenden Identitäten und entsetzlich komischen Dialogen.

Die Regie für diese Festwochen-Koproduktion mit dem Berliner Maxim-Gorki-Theater hat Armin Petras inne. Maslowska selbst blickt auf den Theaterbetrieb ungerührt: "Ich betrachte meine fehlende Theatersozialisation als echten Produktionsvorteil!" (poh)

(Quelle: Der Standard, 4. Juni 2008. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors)