DER TAGESSPIEGEL, 15.06.2004
Olaf Kühl berät den
Regierenden in Russlandfragen. Außerdem übersetzt er
polnische Literatur
Olaf Kühl führt ein Doppelleben – und gewichtet beide Teile angemessen:
Vier
Tage in der Woche verbringt er damit, die Russlandkontakte des Roten
Rathauses
zu pflegen. Das ist sein fester Job. Olaf Kühl ist „Russlandreferent“
des
Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit. „Was kyrillisch aussieht,
landet bei
mir auf dem Schreibtisch“, sagt er. Schwarzes Hemd, schwarze Hose,
dunkles
Jackett – so wie man sich einen Russlandreferenten vorstellt.
Den zweiten Teil seines Arbeitslebens widmet Kühl der Literatur. Er
übersetzt
Texte von polnischen Autoren wie Witold
Gombrowicz und Andrzej Stasiuk.
Sein
Name findet sich auch auf dem Vorblatt von „Schneeweiß und Russenrot“,
dem
heftig jugendbewegten Roman der 1982 geborenen Polin Dorota Maslowska. Das ist
der freischaffende Olaf Kühl. Erst Stasiuk und dann Dorota Maslowska
haben ihn
ein bisschen bekannter gemacht. Er kommentiert seine Gefragtheit in der
Branche
leicht ironisch mit Blick auf sein aktuelles Alter von 49 Jahren: „Die
jugendliche Sprache – die traut man mir wohl zu.“
Olaf Kühl ist Slawist, er spricht
Russisch, Polnisch, Serbokroatisch und Englisch. Und er ist wohl eher
ein Mann
des geschriebenen Wortes. Eine Neigung, von der die meisten Leute nicht
besonders gut leben können. Bei Kühl war es noch schwieriger, denn
neben der
Neigung zur Literatur hatte er auch Frau und zwei Kinder – er musste
Geld
verdienen. 1982 bewarb er sich beim Sprachendienst des Senates. Das
hieß:
Dolmetschen, wenn der Regierende in den Osten reiste oder Besuch von
dort
bekam. Und es hieß: Reden und Treffen vorbereiten, Sprechzettel
schreiben,
beraten. Die polnischen Texte, das Interesse – zumal an dem nicht so
leicht
zugänglichen Witold Gombrowicz einerseits – und andererseits die
russischen
Delegationen, der temperamentvolle Moskauer Oberbürgermeister Juri
Lushkow, das
sind für Olaf Kühl „zwei völlig verschiedene Welten“.
Anders gesagt: Er arbeitet mitten in einem Spannungsfeld. Ein paar Mal
hat er
erlebt, wie sich Spannungen aufbauen und entladen. 1992 hat er Erich Honeckers
Festnahme nach dessen Rückführung aus Moskau in einer Aeroflot-Maschine
miterlebt. Doch sonst pflegt Olaf Kühl im Hinblick auf russisch
sprechende
Personen der Gegenwart und Russlandpolitik betreibende Berliner
Politiker
allerhöchste Diskretion. Die Städtepartnerschaft zwischen Berlin und
Moskau
werde immer intensiver, sagt er bloß; zumal die russische Seite sehr
interessiert sei.
Aber es geht nicht bloß um immer mehr Geschäfts- und
Verwaltungsbeziehungen
zwischen gleichberechtigten und ähnlich denkenden Partnern. An Russland
habe
ihn immer das Dunkle, „das Undurchsichtige“ fasziniert, sagt Olaf Kühl.
Deshalb
habe er osteuropäische Sprachen und Kultur studiert. Die Faszination
ist
geblieben und trägt für ihn persönlich all das an Beziehungen, was in
den
Jahren nach dem Mauerfall geschaffen werden musste. Kühl ist dabei
alles andere
als ein Romantiker. „Ich komme mir manchmal wie jemand vor, der vor
Russophilie
warnen muss“, sagt er. Die angebliche Nähe zwischen deutschem Wesen und
russischer Seele liegt ihm fern. Er bedauert das nicht, im Gegenteil.
Wie sich
Zwangssysteme anfühlen, hat er einmal selbst erfahren, als es die DDR
noch gab.
Er sei in Ost-Berlin mit schwarz getauschtem Geld erwischt und gleich
„eingelocht“ worden, erzählt Kühl. Das Geld habe er damals getauscht,
um Karl
Marx’ „Kapital“ zu kaufen.
Werner van
Bebber