von Olaf Kühl
Literarisches
Übersetzen ist ein Abenteuer in mehrfacher Hinsicht.
Zunächst
einmal in ökonomischer - abenteuerlich ist die Vorstellung, allein
vom
literarischen Übersetzen leben zu wollen. Ich will hier gar nicht
in die
landläufigen Klagen über niedrige Verlagshonorare, mangelnde
Erfolgsbeteiligung
usw. einstimmen. Derlei Berechnungen beherrschen andere besser. Mir ist
es zum
Beispiel nie gelungen, meinen eigenen Stundenlohn auszurechen. Ich habe
viele
Jahre ausschließlich freiberuflich gearbeitet und mich erst
später – übrigens
auf Karl Dedecius' persönlichen Rat – in der Auslandsabteilung des
Berliner
Senats beworben. Diese Teilzeitstelle deckt seither meine Ausgaben
für Miete
und Telefon und puffert Perioden schlechter Auftragslage ab. Erst diese
minimale Sicherheit erlaubt es mir übrigens auch, Bücher
abzulehnen, von denen
ich nicht vollkommen überzeugt bin. In einer anderen Lage
müßte ich sie dennoch
machen, um zu überleben.
Aber
ich will an dieser Stelle auch darauf hinweisen, daß es
Lichtblicke gibt. Einer
davon betrifft meine Arbeit an Dorota Masłowskas neuem Buch (Die
Reiherkönigin. Ein Rap). Der Verlag Kiepenheuer & Witsch
zeigt
Verständnis für die ungeheuren Schwierigkeiten der
Übersetzung dieser äußerst
stilisierten HipHop-Prosa und entlohnt sie mit den für Lyrik
üblichen Sätzen.
Das ist ausgesprochen anständig und sollte nicht unerwähnt
bleiben. Ich meine,
andere Verlage könnten sich das zum Vorbild nehmen.
Literarisches
Übersetzen ist aber ein Abenteuer auch in geistiger Hinsicht.
Jeder
gute Text ist eine neue unberechenbare Aufgabe, eine Herausforderung,
eben ein
- Abenteuer. Für das Übersetzen gibt es zahlreiche Bilder.
Karl Dedecius
spricht gern von der Arbeit des Fährmanns. Ob nun Fähre oder
Brücke – für mich
wird das Übersetzen erst dort richtig spannend, wo die beiden
Kontinente – die
Landmassen der Sprachen, der Nationalitäten, der
Individualitäten - sich so
fremd sind, so weit voneinander entfernt sind, daß ein einfaches
Hinübertragen
nicht mehr möglich ist. Dann wird, um die Kluft zu bezwingen, ein
Sprung
erforderlich. Dieser Sprung produziert Adrenalin und damit das
Gefühl zu leben.
Die Entscheidung, vom Boden abzuheben und zu fliegen – sich in die
Ungewißheit
zu stürzen - bringt jedesmal neuen Kitzel mit sich. Der
abenteuerliche Moment
des Fluges ist eine Bewährungsprobe – entweder reicht die
Kreativität aus, um
das andere Ufer zu erreichen – oder man stürzt aus Angst vorm
Fliegen ab.
Übrigens
ist ja auch die Rede vom "einfachen Hinübertragen" nur ein
Euphemismus.
Die Wörterbücher täuschen feste Wege dort vor, wo sie in
Wirklichkeit nur die
ausgetretenen Pfade anbieten, die Wege des geringsten Widerstandes
aufzeigen.
Diese Landkarten sind immer schon veraltet. Sie zementieren den
Gemeinplatz,
versiegeln damit aber auch den fruchtbaren, offenen Boden, die
Abgründe,
Unvereinbarkeiten und Fremdheiten, die sich praktisch überall
zwischen zwei
natürlichen Sprachen auftun, sobald man nur tief genug gräbt
und lange genug
überlegt.
Je
mutiger ein Autor die Welt in seiner Sprache verarbeitet und
verändert, desto
mehr fordert er den Mut und die Flugfähigkeit des Übersetzers
heraus. Für mich
persönlich stecken bisher zwei Namen das Feld dieser
Möglichkeiten ab - Witold
Gombrowicz und Dorota Masłowska. In der umgekehrten Richtung würde
ich Elfriede
Jelinek nennen, an deren gezielter Holprigkeit und an deren Sprachwitz
sich zur
Zeit die besten polnischen Übersetzer die Zähne – hoffentlich
nicht endgültig -
ausbeißen.
Das
geistige Abenteuer des Übersetzens wird noch aufregender, wenn man
mit lebenden
Autoren arbeitet. Das ist manchmal so, als näherte man sich
aktiven Vulkanen.
Kann man denn sicher sein, wer von ihnen bald erlischt, wer unter dem
Druck der
Verlagsmaschinerien künftig nur noch lauwarme Schlacke absondern,
und wer
demnächst glühende Lava verspritzen, ein Meisterwerk
produzieren wird? Man kann
nie sicher sein, und das ist schön. Auf Lesereisen und bei
privaten Begegnungen
wächst man mit seinen Autoren in ein persönliches
Freundschafts- und
Spannungsverhältnis hinein. Allein diese menschlichen Beziehungen
schaffen eine
Verschärfung und Intensivierung des Lebensgefühls, die die
ökonomische Misere
m.E. zum großen Teil wieder aufwiegt.
Und so
wirken aus der Sicht des großartigen geistigen Abenteuers,
welches das
literarische Übersetzen ist, die Klagen über die
ökonomische Misere fast schon
wie das Gequengel eines Kleinbürgers, der nach materieller
Sicherheit und
fester Anstellung schreit.
Um
keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Ich
unterstütze die Forderungen des
VdÜ im Honorarstreit uneingeschränkt. Aber natürlich
offenbart sich im
Nebeneinander der beiden genannten Bedeutungen von Abenteuer -
"abenteuerlich" ist die unsichere ökonomische Situation des
Übersetzers; ebenso "abenteuerlich" sind die Chancen und
Möglichkeiten seiner Arbeit - das Dilemma unserer
Verhandlungsposition gegenüber
den Verlegern.
Ein
Preis wie der von der Robert Bosch Stiftung getragene Karl Dedecius
Preis – um
schließlich auf das Thema zu kommen - vereint beide Aspekte – den
ökonomischen und
den geistigen. Seine Dotierung bedeutet eine kräftige
Finanzspritze für den an
mickrige Honorare gewöhnten Übersetzer. Sie besagt ganz
einfach: "Wir
meinen es ernst mit unserem Verdikt". Andererseits sorgt die
binationale,
hochkarätig besetzte Jury dafür, daß jeder
Preisträger tatsächlich stolz darauf
sein kann, wenn er die Hürden dieser Auslese genommen hat. Und
dieser Stolz
überwiegt natürlich am Ende den Nutzen des Geldes um ein
Vielfaches. Ich
persönlich habe nicht gewußt, wie skrupulös die
vorgelegten Übersetzungen von
mehreren Seiten – von Slawisten, von muttersprachlichen Schriftstellern
und
noch von dritter Seite – unter die Lupe genommen werden, bevor Karl
Dedecius
die Entscheidung persönlich bestätigt. Hätte ich es
gewußt, ich hätte mir noch
weniger Chancen auf diesen Preis ausgerechnet, als ich es ohnehin tat.
Es gibt
andere Übersetzer-Preise, aber für den Übersetzer
polnischer Literatur ist der
Karl Dedecius Preis die absolute Krönung.
Die
Robert Bosch Stiftung entwickelt und finanziert außer dem Karl
Dedecius Preis
zahlreiche andere Arbeitsstipendien und Förderprogramme. Sie
unterstützt
Werkstätten für Nachwuchsübersetzer und Profis (im
Programm "Literarische
Brückenbauer"). Ich habe schon an einigen derartigen Seminaren
teilgenommen
und weiß, wie fruchtbar und anregend dieser Austausch ist,
wieviele Ideen erst
im Dialog entstehen. Für dieses Engagement gebührt der Robert
Bosch Stiftung
Dank und Anerkennung.
Abschließend
bleibt mir nur noch, den meisten Bewerbern um den Dedecius Preis die
Daumen zu
drücken und Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihre
Aufmerksamkeit zu danken.
© Olaf Kühl