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LITERARISCHES ÜBERSETZEN
EIN ABENTEUER ZWISCHEN GEIST UND ÖKONOMIE
Vortrag zur Auslobung des Karl Dedecius Preises
gehalten am
6.10.2006 auf der Frankfurter Buchmesse

von Olaf Kühl

 

Literarisches Übersetzen ist ein Abenteuer in mehrfacher Hinsicht.

Zunächst einmal in ökonomischer - abenteuerlich ist die Vorstellung, allein vom literarischen Übersetzen leben zu wollen. Ich will hier gar nicht in die landläufigen Klagen über niedrige Verlagshonorare, mangelnde Erfolgsbeteiligung usw. einstimmen. Derlei Berechnungen beherrschen andere besser. Mir ist es zum Beispiel nie gelungen, meinen eigenen Stundenlohn auszurechen. Ich habe viele Jahre ausschließlich freiberuflich gearbeitet und mich erst später – übrigens auf Karl Dedecius' persönlichen Rat – in der Auslandsabteilung des Berliner Senats beworben. Diese Teilzeitstelle deckt seither meine Ausgaben für Miete und Telefon und puffert Perioden schlechter Auftragslage ab. Erst diese minimale Sicherheit erlaubt es mir übrigens auch, Bücher abzulehnen, von denen ich nicht vollkommen überzeugt bin. In einer anderen Lage müßte ich sie dennoch machen, um zu überleben.

Aber ich will an dieser Stelle auch darauf hinweisen, daß es Lichtblicke gibt. Einer davon betrifft meine Arbeit an Dorota Masłowskas neuem Buch (Die Reiherkönigin. Ein Rap). Der Verlag Kiepenheuer & Witsch zeigt Verständnis für die ungeheuren Schwierigkeiten der Übersetzung dieser äußerst stilisierten HipHop-Prosa und entlohnt sie mit den für Lyrik üblichen Sätzen. Das ist ausgesprochen anständig und sollte nicht unerwähnt bleiben. Ich meine, andere Verlage könnten sich das zum Vorbild nehmen.

Literarisches Übersetzen ist aber ein Abenteuer auch in geistiger Hinsicht.

Jeder gute Text ist eine neue unberechenbare Aufgabe, eine Herausforderung, eben ein - Abenteuer. Für das Übersetzen gibt es zahlreiche Bilder. Karl Dedecius spricht gern von der Arbeit des Fährmanns. Ob nun Fähre oder Brücke – für mich wird das Übersetzen erst dort richtig spannend, wo die beiden Kontinente – die Landmassen der Sprachen, der Nationalitäten, der Individualitäten - sich so fremd sind, so weit voneinander entfernt sind, daß ein einfaches Hinübertragen nicht mehr möglich ist. Dann wird, um die Kluft zu bezwingen, ein Sprung erforderlich. Dieser Sprung produziert Adrenalin und damit das Gefühl zu leben. Die Entscheidung, vom Boden abzuheben und zu fliegen – sich in die Ungewißheit zu stürzen - bringt jedesmal neuen Kitzel mit sich. Der abenteuerliche Moment des Fluges ist eine Bewährungsprobe – entweder reicht die Kreativität aus, um das andere Ufer zu erreichen – oder man stürzt aus Angst vorm Fliegen ab.

Übrigens ist ja auch die Rede vom "einfachen Hinübertragen" nur ein Euphemismus. Die Wörterbücher täuschen feste Wege dort vor, wo sie in Wirklichkeit nur die ausgetretenen Pfade anbieten, die Wege des geringsten Widerstandes aufzeigen. Diese Landkarten sind immer schon veraltet. Sie zementieren den Gemeinplatz, versiegeln damit aber auch den fruchtbaren, offenen Boden, die Abgründe, Unvereinbarkeiten und Fremdheiten, die sich praktisch überall zwischen zwei natürlichen Sprachen auftun, sobald man nur tief genug gräbt und lange genug überlegt.

Je mutiger ein Autor die Welt in seiner Sprache verarbeitet und verändert, desto mehr fordert er den Mut und die Flugfähigkeit des Übersetzers heraus. Für mich persönlich stecken bisher zwei Namen das Feld dieser Möglichkeiten ab - Witold Gombrowicz und Dorota Masłowska. In der umgekehrten Richtung würde ich Elfriede Jelinek nennen, an deren gezielter Holprigkeit und an deren Sprachwitz sich zur Zeit die besten polnischen Übersetzer die Zähne – hoffentlich nicht endgültig - ausbeißen.

Das geistige Abenteuer des Übersetzens wird noch aufregender, wenn man mit lebenden Autoren arbeitet. Das ist manchmal so, als näherte man sich aktiven Vulkanen. Kann man denn sicher sein, wer von ihnen bald erlischt, wer unter dem Druck der Verlagsmaschinerien künftig nur noch lauwarme Schlacke absondern, und wer demnächst glühende Lava verspritzen, ein Meisterwerk produzieren wird? Man kann nie sicher sein, und das ist schön. Auf Lesereisen und bei privaten Begegnungen wächst man mit seinen Autoren in ein persönliches Freundschafts- und Spannungsverhältnis hinein. Allein diese menschlichen Beziehungen schaffen eine Verschärfung und Intensivierung des Lebensgefühls, die die ökonomische Misere m.E. zum großen Teil wieder aufwiegt.

Und so wirken aus der Sicht des großartigen geistigen Abenteuers, welches das literarische Übersetzen ist, die Klagen über die ökonomische Misere fast schon wie das Gequengel eines Kleinbürgers, der nach materieller Sicherheit und fester Anstellung schreit.

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Ich unterstütze die Forderungen des VdÜ im Honorarstreit uneingeschränkt. Aber natürlich offenbart sich im Nebeneinander der beiden genannten Bedeutungen von Abenteuer - "abenteuerlich" ist die unsichere ökonomische Situation des Übersetzers; ebenso "abenteuerlich" sind die Chancen und Möglichkeiten seiner Arbeit - das Dilemma unserer Verhandlungsposition gegenüber den Verlegern.

Ein Preis wie der von der Robert Bosch Stiftung getragene Karl Dedecius Preis – um schließlich auf das Thema zu kommen - vereint beide Aspekte – den ökonomischen und den geistigen. Seine Dotierung bedeutet eine kräftige Finanzspritze für den an mickrige Honorare gewöhnten Übersetzer. Sie besagt ganz einfach: "Wir meinen es ernst mit unserem Verdikt". Andererseits sorgt die binationale, hochkarätig besetzte Jury dafür, daß jeder Preisträger tatsächlich stolz darauf sein kann, wenn er die Hürden dieser Auslese genommen hat. Und dieser Stolz überwiegt natürlich am Ende den Nutzen des Geldes um ein Vielfaches. Ich persönlich habe nicht gewußt, wie skrupulös die vorgelegten Übersetzungen von mehreren Seiten – von Slawisten, von muttersprachlichen Schriftstellern und noch von dritter Seite – unter die Lupe genommen werden, bevor Karl Dedecius die Entscheidung persönlich bestätigt. Hätte ich es gewußt, ich hätte mir noch weniger Chancen auf diesen Preis ausgerechnet, als ich es ohnehin tat. Es gibt andere Übersetzer-Preise, aber für den Übersetzer polnischer Literatur ist der Karl Dedecius Preis die absolute Krönung.

Die Robert Bosch Stiftung entwickelt und finanziert außer dem Karl Dedecius Preis zahlreiche andere Arbeitsstipendien und Förderprogramme. Sie unterstützt Werkstätten für Nachwuchsübersetzer und Profis (im Programm "Literarische Brückenbauer"). Ich habe schon an einigen derartigen Seminaren teilgenommen und weiß, wie fruchtbar und anregend dieser Austausch ist, wieviele Ideen erst im Dialog entstehen. Für dieses Engagement gebührt der Robert Bosch Stiftung Dank und Anerkennung.

Abschließend bleibt mir nur noch, den meisten Bewerbern um den Dedecius Preis die Daumen zu drücken und Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihre Aufmerksamkeit zu danken.

©  Olaf Kühl