Das
Schöne an Rummelplätzen und Camp-Ästhetik ist, dass man sich
hemmungslos seinen Affekten hingeben darf. Man darf sich auch
genüsslich lächerlich
machen. Wie aus Kitschromanen erfährt man bei solcher Gelegenheit mehr
über die
wahren Gefühle eines Menschen als aus der angestrengt „hohen"
Literatur.
Ein Beispiel dafür lieferte vor geraumer Zeit Michał
Witkowski, das
Rumpelstilzchen oder – je nach Sichtweise – der Andrzej Gołota der
polnischen
Prosa. Er beichtete den Lesern eines polnischen Wochenblatts seine
traumatischen Erfahrungen mit Deutschland. Titel: „Über meinen Hass auf
die
Deutschen." Man könnte diesen kleinen Aufsatz als peinliche
Selbstentblößung abtun, wenn das Gequengel nicht auf ernsthafte
deutsch-polnische Verständigungsschwierigkeiten hindeuten würde.
Um auf den
Kern der Sache zu kommen, streifen wir zunächst alles ab, was
durchschaubar interessegeleitet ist:
Erstens:
Alle ins Deutsche übersetzten polnischen Bücher, schreibt
Witkowski, seien Totgeburten und würden nur von den Rezensenten gelesen
(immerhin!). Da spricht die Bitterkeit des enttäuschten Liebhabers.
Von in
Deutschland erfolgreicheren Autoren wie
Dorota Masłowska oder Andrzej
Stasiuk
hört man derlei Klagen nicht.
Zweitens:
Die Betreuerinnen der einladenden Organisationen sind meist
weiblichen Geschlechts, dazu protestantisch und ungeschminkt, sie
sprechen kein
Polnisch und zwingen dem Autor ein gekünsteltes, sprachloses Lächeln, Witold
Gombrowiczs berühmte „Fresse", auf.
Diese Gründe
des Unbehagens sind nachvollziehbar und wecken unser
Mitgefühl. Wie wollte man von einem polnischen Autor, der jedes Jahr
zehnmal
(privat?) nach Berlin reist, und das seit dreizehn Jahren, auch
verlangen, dass
er ein bisschen Deutsch lernt.
Erst in der
zweiten Hälfte des Aufsatzes wird es interessant. Dort führt
Witkowski sein Unbehagen in Deutschland auf den eigenen
Minderwertigkeitskomplex
zurück, auf die angebliche Überlegenheit der Deutschen in jeder
Beziehung. Er
behauptet, er würde die Deutschen viel mehr mögen, wenn sie „böse" und
„dumm" wären. Und wie besingt er das Tröstliche seines Heimatlandes, in
das er vor dem bedrohlich fremden Grinsen deutscher Organisatorinnen
flieht?
In Stereotypen, die seit preußischen Zeiten gegen das Land in Stellung
gebracht
werden: „Chaos", „polnischer Saustall", „slawisch verlottert",
„weniger arbeitsam", „unordentlich", mit einem Wort, als „Pfütze
schillernd von Benzin und Zigeunern"; und dazu der "Müll zwischen den
Gleisen"! In Deutschland selbst werden solche Stereotype oberhalb der
Stammtischkante nur noch selten bedient; diesem Autor – und anderen –
dienen
sie als Schneckenhaus, in das sie vor der Auseinandersetzung mit dem
lebendigen deutschen Geist von heute fliehen können.
Wehmütig
erinnert man sich, mit welch geistessprühender Schärfe der
große polnische Schriftsteller Witold Gombrowicz sich vor fünfzig
Jahren an
den Deutschen gerieben hat. Für Gombrowicz war Berlin ein „inneres
Abenteuer". In seinem Berliner Tagebuch schilderte er Berlin als Frage
der
Verwirklichung und des Wirklichkeitsverlustes. Er als Pole sah sich am
Ende
gezwungen, Hitler aufzuessen. Um ihn zu überwinden. Hellhörig
diagnostizierte
er, dass einiges von der Nazi-Ästhetik, von Gombrowicz als das
„Scheußlich-Schöne",
als „Ex-Poesie", „giftig wie ein junger Leichnam" beschrieben, bis
heute auf die Jugend einwirkt. Diese Eindrücke waren inspirierend, sie
öffneten
dem Berliner eine neue Sicht auf die eigene Welt. Keine Spur von
bockigem
Minderwertigkeitsgefühl. Von Witkowski erfahre ich lediglich, dass er
mich als
Deutschen hasst. Ich bin ihm also nicht ganz gleichgültig. Immerhin.
Das Problem
ist nicht dieser Autor, der mit „Lubiewo" ein
epochales Buch geschrieben, mit „Barbara Radziwiłłówna" seine
stilistische
Meisterschaft unter Beweis gestellt hat und der sich auch einmal eine
ironische
Polemik in der Art des Polityka-Artikels erlauben darf. Das Problem
ist, dass
das deutschpolnische Gespräch insgesamt auf einem ziemlich
erbärmlichen Niveau
vor sich hindümpelt. Sich oft nur im gegenseitigen Bewerfen mit
Stereotypen erschöpft.
Zwischen dem Wiegenlied von Völkerverständigung und Versöhnung und der
gegenseitigen Beschimpfung klafft eine weite Ebene ratlosen Schweigens.
Ein
provozierender Text wie der von Witkowski macht das bewusst und könnte
insofern
doch wieder Anstoß zum heilsamen Gewitter sein.
Beiläufig,
mit einem Wort, erwähnt Witkowski eine wichtige Institution
in Deutschland – die Polnischen Institute. Dieser Einrichtung kommt
eine ganz
avantgardistische Rolle zu. Sie muss nicht nur klug auswählen, eine
Strategie
entwickeln, geschickt präsentieren. Sie muss polnische Künstler und
Autoren den
Deutschen mit Bedacht nahe bringen. Muss für die einen die Schätze der
polnischen Kultur erschließen und den anderen erklären, dass für
Minderwertigkeitskomplexe kein Anlass ist. Wie der Autor Stasiuk sagt:
„Nach
Deutschland fahren, das ist Psychoanalyse". Ein Polnisches Institut hat
deshalb auch ganz therapeutische Aufgaben. Hier braucht der polnische
Kulturvertreter
noch keine Abwehrhaltung zu entwickeln, hier kann er sich entspannen,
sich
quasi wie auf exterritorialem Gelände fühlen.
„Ich hatte seit langem, von Anfang an gewusst (...), dass die Kunst keinen persönlichen Nutzen bringen kann und darf... dass sie ein tragisch Ding ist.", schrieb Witold Gombrowicz am Ende seines Lebens. Solange Witkowski das nicht verstanden hat und ungeduldig nach bunten Glasperlen hascht, hilft es vielleicht, wenn das Polnische Institut Düsseldorf ihn noch einmal einlädt. Auch wenn dort ebenfalls die Damen in der Überzahl sind: Laden Sie Witkowski wieder ein! Anders als es sein Aufsatz nahe legt, ist dieser Michal ein ganz charmanter, witziger Mensch! Sie werden sehen, es lohnt sich.
(Erschienen
in der Festschrift zum 20-jährigen Bestehen des Polnischen
Instituts Düsseldorf:
20 Jahre Polnisches Institut Düsseldorf, S. 20 - 23. ISBN 978-3-00-0429996. Düsseldorf 2013.).